Wladiwostok  |  Nowosibirsk   | Akademgorodok  |  Eisenbahnmuseum   | 

Um 13:00 Uhr Ortszeit landen wir in Wladiwostok. Schwülwarmes Wetter – die Sonne knallt – das Deo versagt! Wir wollen trotz der recht knappen Aufenthaltszeit in die Stadt. Wer weiß schon, wann wir mal wieder in der Gegend sind. Der Flughafen liegt 60 Kilometer außerhalb des Zentrums und ein Taxi dorthin kostet 50 US $. Aber nicht mit uns. Wir fahren mit einem Bus Richtung Elektrischka, dem Vorortzug. Der Bus kostet 100 Rubel für alle und auf den Zug springen wir, ohne zu bezahlen, einfach auf.

Zwanzig Minuten später sind wir am Bahnhof von Wladiwostok, der Endhaltestelle der Transsib. Er liegt fast direkt am Hafen. Zwei Frachter sind bis über die Reling mit japanischen Autos beladen. Sie sollen um ein Drittel billiger sein als russische Autos. In Wladiwostok sieht man deshalb fast ausnahmslos japanische Rechtslenker. Japan ist auch nur ca. 600 Kilometer entfernt. Vom Bahnhof, der wie alle Bahnhöfe, die wir bisher gesehen haben, in einem tadellosen Zustand ist, laufen wir zu einem als Museum umgebauten U-Boot - ein Riesenteil. In Anbetracht der knappen Zeit ersparen wir uns die Besichtigung von innen. Unser Ziel ist das sogenannte Adlernest, ein Aussichtspunkt mit Blick über die Stadt. Hier ist schon mehr los als in Magadan. Mit dem Fernglas lassen wir den Blick über die Hafenanlagen schweifen. Alte verrostete Atom-U-Boote suchen wir jedoch vergebens. Nach einer knappen halben Stunde und einem leckeren Eis laufen wir wieder zurück in Richtung Bahnhof. Wladiwostok macht einen westlicheren Eindruck als andere russische Städte. Die Geschäftsstraße, die auf einem großen Platz in Bahnhofsnähe mündet, ist von Straßen in Europa kaum zu unterscheiden. Außerdem hat Wladiwostok noch eine gewisse alte Bausubstanz, die die ganze Stadt irgendwie ansehnlicher macht, als die Säule-Platte-Architektur von Jakutsk.

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Panoramasicht vom Adlernest auf Wladiwostok

Diesmal kommen wir ohne Ticket gar nicht erst auf den Bahnsteig. Im Bahnhof stellen wir uns am falschen Schalter an – dem für die Fernzüge! Volker rastet fast aus, als die Dame am Schalter unsere Reisepässe verlangt. "Was, für drei Stationen mit dem Vorortzug, das glaub ich nicht!" Gottseidank hilft uns eine Englisch sprechende Russin aus der Patsche und leitet uns zum Elektrischka-Schalter. All das kostet natürlich Zeit. Es ist jetzt 17:25 Uhr und der Zug fährt um 17:45 Uhr ab - um 18:00 Uhr geht unser Bus zum Flughafen und der Vorortzug benötigt 25 Minuten bis zur Bushaltestelle! Auch mit Hilfe des genialen Scherafisofchen Dreisatzes – der geneigte Leser erinnert sich an Khandyga – geht diese Rechnung nicht auf. Es ist nicht zu schaffen.

Eine Karte an der Waggonwand zeigt die Stationen der Bahn und auch den Flughafen. Ich stehe auf und zeige an der Tafel auf die Station, an der wir gedenken auszusteigen. Am einvernehmlichen Kopfnicken der Mitreisenden erkennen wir, dass wir richtig liegen. Im weiteren Verlauf der Fahrt stellt sich heraus, dass nicht alle Stationen auf der Karte eingezeichnet sind. Das sorgt für etwas Verwirrung. Meine Anstalten zum Aussteigen werden mehrfach von den Mitreisenden in der Form erstickt, dass man mich wieder auf die Sitzbank drückt. Die Strecke führt an der Küste entlang, vorbei an breiten Sandstränden. Ich glaube, es heißt hier Japanisches Meer. Endlich lassen uns die Russen aussteigen. Fast eine Stunde sind wir gefahren. Wir fragen einen Busfahrer, der uns zu verstehen gibt, bei ihm einzusteigen. Kurz darauf wird der Bus von den Fahrgästen geradezu gestürmt. Volker: "Habt ihr die Blicke der Leute gesehen? Als wenn es um ihr Leben ginge." Der Bus zuckelt dann gut eine Dreiviertelstunde über das Land und durch die Dörfer und hält dann in einem etwas größeren Ort in Flughafennähe. Einen weiteren Bus gibt es nicht. Also nehmen wir ein Taxi. Zuvor lassen wir noch eine Kontrolle des örtlichen Milizpostens in Ruhe über uns ergehen. Das ist einfach nur menschliche Neugier. Um 19.30 Uhr sind wir am Flughafen. Der Check-in läuft bereits. Charly tritt fast die Tür des Gepäckaufbewahrungsraums ein, weil wir ohne unsere Rucksäcke nicht fliegen wollen und der zuständige Mensch nicht anwesend ist. Gottlob taucht er dann doch auf. Minuten später stehen wir endlich in der Reihe zum Flieger. Die wären doch glatt ohne uns geflogen!
Freie Sitzplatzwahl – wir sitzen in der drittletzten Reihe und atmen erstmals seit einigen Stunden wieder aus.

"High"tech in Sibirien:

Ihr kennt doch sicher diese hypermodernen Flugzeuge: In jeder Rückenlehne ist ein Farbdisplay eingebaut, auf dem neben zahlreichen Filmen, Spielen und Videos auch die Flugroute inklusive der Flugdaten angezeigt wird. Die Bedienung erfolgt wahlweise per Fingertip über das Touchdisplay oder über eine Handtastatur. In der Flugzeuggeneration davor gab es große Bildschirme bzw. Videowände, die von jeder Sitzposition gut sichtbar waren. Auch hier liefen Filme und auch hier wurden zeitweise Informationen über die Flugroute angezeigt.

Die alte TU154 der Sibirian Air gehört zu keiner dieser Generationen. Es gibt hier gar keine Bildschirme. Auch keinen anderen Audio/Hifi-Schnickschnack. Die einzige Öffnung in der Armlehne ist eine kleine Aschenbecherklappe. Da muss man wohl auf die, auf so vielen Flügen liebgewonnene, Einblendung der Flugroutenkarte verzichten. Ganz verzichten? Nein! Bei Sibirian Air wird das gezwungenermaßen etwas anders – sagen wir mal individueller – gehandhabt: Eine Stewardess geht mit einer farbigen, gut DIN A4 großen Tafel, auf der die Flugroute aufgemalt ist, durch die Reihen. Jeder, der es wünscht, bekommt die Route inklusive Geschwindigkeit und Flughöhe erläutert. Auf Nachfrage hat sie auch noch die aktuellen Temperaturen und die Ortszeit des Zielortes in petto. Tja, so geht das auch! Eine nette, unkonventionelle Art, die gewünschten Informationen trotz fehlender Technik an die Fluggäste zu bringen.

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Die Flugroute wird "eingeblendet"

Um 22:00 Uhr Ortszeit landen wir in Nowosibirsk. Wir steigen wieder im "Sheraton" direkt am Flughafen ab. Um Mitternacht trinken wir an der Piwobude direkt vor dem Hotel ein Bier. Die erste Flasche trinken wir noch warm, aber die Zweite lassen wir uns ins Eisfach legen. Die russische Gepflogenheit mit dem warmen Bier müssen wir uns dann doch nicht aneignen. Eine Flasche auf Jakutien und eine auf Magadan. Letztendlich haben wir unser Ziel, den Kolyma Highway im Sommer zu befahren, in die Tat umsetzen können – ohne wirkliche Panne und (leider) in Rekordzeit! Denn wenn ich ehrlich bin, trauere ich einer Autopanne so 60 bis 70 Kilometer vor der Hauptstraße Ust-Nera – Magadan, schon etwas nach. Zwei Tage maschieren – mit der Chance, die Überbleibsel eines Gulags zu finden, einem Bären oder einem Wolf zu begegnen sowie eine Übernachtung im Zelt – wären schon nicht schlecht gewesen! Aber wehe, wenn wir 200 Kilometer von der Straße entfernt das Auto in den Matsch gesetzt hätten. Dann wäre die Zeit schon recht knapp geworden. Ich will damit sagen, dass es letztendlich schon richtig war, so auf die Tube zu drücken!
Aber ich bin ja schon bei einem Fazit der Tour, die ja noch gar nicht zu Ende ist.

Dienstag, 22. Juli 2003  -  unser letzter Tag in Sibirien

Um 5:00 Uhr drängt Charly bereits zum Aufbruch, obwohl wir erst gegen 2:00 Uhr bierselig im Schlafsack lagen. Unser Ziel heute ist Akademgorodok, eine kleine Stadt 35 Kilometer südlich von Nowosibirsk – und genauer, das dortige Freiluft-Eisenbahnmuseum. Akademgorodok ist, wie der Name schon vermuten läßt, ein Akademikerstädtchen. Zu Sowjetzeiten wurde hier die Elite der Wissenschaftler aller möglichen Fachrichtungen konzentriert.

Nach unserer Ankunft wird erst einmal auf den Stufen eines Magazins, in dem wir uns mit dampfendem Kaffee versorgen, gefrühstückt. Das Eisenbahnmuseum öffnet um 11:00 Uhr. Der zuständige Museumswärter läßt uns jedoch hinein, als wir um 9:00 Uhr vor dem Tor stehen. Schön angestrichen und aufgereiht stehen hier Loks und Waggons sowie die verschiedensten Gleisbau- und Ausbesserungsfahrzeuge. Ein Querschnitt seit Beginn der Transsibirischen Eisenbahn. Unter anderem finden wir auch die auf der alten Baikalstrecke so schmerzlich vermisste Draisine.

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Was für Zeiten, als solche Räder noch rollten! Solch eine Draisine hätten wir uns vor einem Jahr auf der Baikalstrecke der "Circum Railway" gewünscht!

Ein wahres Eldorado für Eisenbahnfreunde. Wir marschieren durch die Reihen und versuchen, die genauen Funktionsweisen der Maschinen zu ergründen - was uns aber nicht immer gelingt.

Im gegenüber liegenden Bahnhofsgebäude wollen wir Bahnkarten zurück nach Nowosibirsk kaufen. Noch ehe wir uns in die Schlange eingereiht haben, spricht uns auch schon eine Frau in unserem Alter in sehr gutem Deutsch an. Wir werden über unsere Reise ausgefragt und sie muss uns Rede und Antwort stehen, warum sie so gut deutsch spricht. Ein wenig small talk halt. Natürlich erledigt sich der Kauf unserer Fahrkarten dadurch fast von alleine. Danach sitzen wir bei herrlichem Sonnenschein - es ist hier nicht so heiß, wie im wesentlich nördlicher gelegenen Jakutsk – ca. 45 Minuten vor dem Bahnhofsgebäude und genießen ein Eis. Dann fahren wir mit der Elektrischka zurück nach Nowosibirsk.

Unsere beabsichtigten Wodkakäufe enden mit dem Fazit: "zu teuer – lohnt sich nicht – gibt's beim Aldi billiger!!" Nach einigem Suchen nach dem richtigen Bus zum Flughafen steigen wir bewußt in den in die andere Richtung fahrenden Bus ein. Man versichert uns, dass er schon auch noch zum Flughafen fährt. Das tut er dann auch. Knapp anderthalb Stunden brauchen wir letztlich. Es geht buchstäblich über die Dörfer. Badende Gänse und Enten in kleinen Lehmtümpeln auf den Dorfstraßen – gleich vor den gepflegt aussehenden Gärten der kleinen Holzhäuser - eben Sibirien im Original. Zum letzten Mal auf dieser Reise geht es zum Einchecken. Auch hier scheint wieder ein Zettelchen oder ein Stempelchen zu fehlen. Aber nur kurze Zeit, dann werden wir durchgelassen. Um 18:00 Uhr Ortszeit landen wir in Frankfurt.


Fazit

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