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Freitag, 6. September 2002

Fünfeinhalb Stunden braucht die TU154 bis Irkutsk. Um 6 Uhr Ortszeit sind wir da. Der Flug verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Abgesehen von der recht engen Bestuhlung absolut westlicher Standard.

Mit dem Bus geht es sofort zum Bahnhof. Die kurze Busfahrt in der Morgendämmerung reicht nicht aus, um nachhaltige Eindrücke von Irkutsk zu bekommen. Nun ja, wir kommen ja noch mal zurück. Jetzt wollen wir möglichst schnell an den Baikalsse. Nach einigem Hin und Her sind wir um 8 Uhr im Besitz der Fahrkarten nach Slyudanka, das liegt am westlichen Ende des Baikalsees. Volker und Jürgen nehmen ein Taxi, um irgendwo in Irkutsk das zwingend notwendige Gas für unseren Kocher zu bekommen.
Charly und ich schleppen derweil unseren gesamten Rödel in die Nähe des Bahnsteigs. Es ist nur noch eine knappe Viertelstunde Zeit. Zurück kommen die zwei nicht mit den gewohnten Kartuschen, sondern mit einer Art Lötlampe und 3 zugehörigen Gasflaschen, die aussehen wie Haarspraydosen. Nun ja, wir werden sehen, ob wir damit Eier braten können.
Kurz danach sitzen wir im Zug nach Slyudanka. Der Zug hat riesige Waggons, die nicht in Abteile getrennt sind – das ermöglicht fast eine Rundumsicht.
Nach einigen Stationen ist der Zug voll besetzt. Wir sind augenscheinlich die einzigen Nichtsibirier. Mit Rucksack und Isomatte sind jedoch auch andere Leute unterwegs. Es sind etwa 100 km bis an den Baikal – der Zug hält auf dieser Strecke an 37 Stationen, die teilweise nicht als solche erkennbar sind.
Wir betrachten die schönen Holzhäuser entlang der Strecke. Viele Leute sind im Garten beschäftigt – Kartoffeln werden ausgemacht. Die Landschaft ist leicht hügelig und bewaldet. Viele Bäume sind bereits herbstlich gefärbt. Trotz des herrlichen Panoramas – noch dazu bei strahlendem Sonnenschein – ist es unvermeidlich, ab und zu die Augen zu schließen. Der Moskauer Smog, die zweite im Flieger verbrachte Nacht, die Zeitverschiebung, ... ?

Aber als dann endlich der Baikal sichtbar wird ist es wieder da, das

S i b i r i e n f e e l i n g !

Die Augen bleiben auf, während sich der Zug langsam die Hänge herabwindet und immer öfter den Blick auf den majestätisch daliegenden See freigibt.

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Im Nahverkehrszug von Irkutsk nach Slyudanka. Der Zug hält an jeder Milchkanne! Kurz vor Slyudanka führt die Transsib-Strecke nahe ans Baikalufer heran Der Bahnhof von Slyudanka ist ganz aus Marmor gebaut.

Slyudanka ist der Ausgangspunkt für unsere Fahrt auf der alten Baikalstrecke (Circum-Baikal Railway) am südlichen Ende des Sees. Geplant ist zunächst, mit dem Zug heute noch bis 10 bis 15 Kilometer bis vor die Endstation Port Baikal zu fahren – dort dann auszusteigen und den Rest zu Fuß zurücklegen. Mit dem Nachtzug um 2 Uhr wollen wir dann wieder zurück nach Slyudanka fahren. Wir entscheiden uns jedoch einstimmig für eine andere Variante: Eine Nacht im Zelt am Baikal muss auch trotz unserer knapp bemessenen Zeit drin sein.
In Slyudanka machen sich Jürgen und ich auf die Suche nach einem Magazin. Eier, Brot, Speck, Mehl, Öl und Wasser sollten für ein Frühstück und ein Abendessen am Baikal ausreichen. Volker ersteht auf dem Bahnsteig einen Becher roter Beeren (so eine Art Johannisbeeren), die wir sofort in eine kleine Aluflasche füllen. Pfannkuchen stehen auf dem Speiseplan – und wenn schon keine Blaubeeren zu finden sind, sind diese hiesigen Früchte eine echte Alternative. Auf dem Bahnsteig bieten Frauen alles mögliche an: Früchte, Backwaren, Gemüse und vor allem geräucherte und getrockneten Fische. Die liegen, mit einigen Zahnstochern verführerisch aufgeklappt, in der Sonne. Verkauft wird vornehmlich an die Reisenden in den Fernzügen, die hier etwa 20 Minuten halten. Meine Mitreisenden sind für ein Fischexperiment nicht sonderlich zu begeistern. Und da wir ja erst am Anfang unserer Tour stehen, verzichte auch ich auf den Fisch.
Der Zug fährt, aus für uns nicht in Erfahrung zu bringenden Gründen, eine Stunde später als geplant ab. Mit knapp 20 Stundenkilometern zuckelt er dann doch los. Rechts der Baikal – links steigen die Felsen ca. 100 – 200 m steil auf. Ausschließlich Birken und Lärchen, deren Blätter und Nadeln vielfach auch hier schon gelb gefärbt sind.

Volker klappt eine Stunde später eine Pritsche an der Gangseite des Zuges aus und legt sich lang.

Gar nicht so einfach einen Zeltplatz zu finden. Links steigen die Felsen steil auf, rechts der Trasse  ist meist nur ein schmaler Streifen Wiese, dann fällt  es 10 bis 15 m steil zum Seeufer hin ab.

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Ein Blick auf die Karte...

Nach knapp fünfeinhalb Stunden steigen wir bei Kilometer 137 aus. Es ist schon kurz vor fünf, aber ein paar Kilometer auf den Schwellen sollten heute schon noch drin sein. Dann gilt es, einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Das ist gar nicht so einfach: Links steigen die Felsen steil auf, rechts der Trasse ist meist nur ein schmaler Streifen Wiese, dann fällt es 10 bis 15 m steil zum Seeufer hin ab. Oft ist es noch nicht einmal möglich, diesen Abhang hinunter zu gelangen. Wir haben heute noch einiges vor: Zelt aufbauen, Baden im Baikal, Essen machen und Whisky (warum eigentlich Whisky und nicht Wodka?) trinken – volles Programm also. Das Wetter ist großartig: Sonnenschein bei über 20 °C; in den Tunnels natürlich etwas kühler.
Hinter einem der zahlreichen Tunnel finden wir ein geeignetes kleines Wiesenstück. Etwa 6 Meter neben dem Gleis bauen wir das Zelt auf. Danach geht es ab in den See. Ein Bad in dem schätzungsweise 14 bis 15 °C warmen Wasser weckt die Lebensgeister. Es ist völlig windstill und daher auch nicht kalt, als wir uns am steinigen Seeufer abtrocknen.

Ein Bad im Baikalsee muss schon sein b0147k.jpg (3879 Byte) b0146k.jpg (4451 Byte)

Abends ein Bad im Baikal und morgens Frühstück auf den Gleisen. 

Wir setzen uns gegenüber auf die Schienen (1524 mm trennen uns hier, in Europa wären es 1435 mm) und bereiten nach alter Hoboart das Essen auf dem Gleis zu. Die "Lötlampe" wird im Schotter, ein Stein in gleicher Höhe einer Schiene plaziert, darauf wird dann der Topf gesetzt. Es funktioniert, einige Minuten später sprudelt bereits das Nudelwasser. Die Mahlzeit fällt recht üppig aus. Der Nudeltopf sowie die Soße hätten ohne weiteres für 6 Personen gereicht. Nach dem Essen setzen wir uns an den See. Mit Schokolade, Whisky und der Angel genießen wir die Ruhe am Baikal. Nun ja, so ruhig ist es auch wieder nicht. Die Möwen machen ordentlich Krach und irgendwo in unserer Nähe hört man Stimmen und Rufe von Leuten, die wohl ebenfalls hier zelten. Wir wären rundum zufrieden, wenn jetzt noch ein Omul nach der am Haken baumelnden Nudel beißen würde. Aber wir genießen auch so den Blick über den See und freuen uns auf den erholsamen Schlaf im Zelt. Einige Blitze und sogar einige Regentropfen veranlassen uns dann recht schnell in unsere Schlafsäcke zu kriechen.

Tagsüber diskutierten wir über den Flüssigkeitshaushalt! Auf Charlys These, tagsüber wenig bis gar nichts zu trinken – am Abend jedoch viel, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, setzt Volker noch einen drauf: "Wenn Ihr Durst habt, dann lutscht doch einfach einen Kieselstein.", behauptete er alles Ernstes! Jürgen und ich schauen uns leicht irritiert an. Nun ja, Volker ist mit allen Pfadfinderwassern gewaschen und ein gewisses Know-how ist ihm nicht abzusprechen (ich sage nur: Keile unter die Hacken beim Kacken); aber ob Steine lutschen zu den Pfadfinderweisheiten zählt bezweifeln wir denn doch. Als Erklärung fügt er hinzu, dass durch das Lutschen die Speichelproduktion angeregt wird und so das Durstgefühl unterdrückt wird. "Das mag ja alles sein – was Jürgen – aber wir lutschen doch lieber an der Pulle." Also ich kenne nur einen Steinbeißer und das ist ein Fisch! Hm, das könnte ja fast schon wieder passen.

Es sei noch angemerkt. dass wir bisher keine Draisine gesehen haben. Antonia hat wohl doch recht!

Es ist noch relativ lange hell (bis ca. 20:30 Uhr), obwohl wir ja bald die Tag- und Nachtgleiche haben. Der Grund hierfür ist die sowjetische "Dekretzeit", d. h. die Uhren sind seit 1931 generell eine Stunde vorgestellt (warum auch immer ...), plus eine Stunde aufgrund der derzeitigen Sommerzeit. Somit ist high noon in Irkutsk um 14:04 Uhr, in Ulan Baator um 13:52 Uhr und am westlichsten von uns erreichten Punkt, am See Therekin Tsagaan Nuur, sogar erst um 14:24 Uhr (nachträgliche Eintragung von Charly).

Samstag, 7. September 2002

Morgens um halb sechs rattert der Zug aus Port Baikal quasi durch unser Zelt. Volker sagt, ihm sei heute morgen im Zelt eine Maus über den Arm gelaufen. Eine angeknabberte Schokolade und eine durchlöcherte Mehltüte zeugen zumindest davon, dass die kleinen Nager im Vorzelt waren.

Und wovon Norres diese Nacht geträumt hat: Nachtträume am Baikalsee

Von wegen unter 0 °C in der Nacht – wir schwitzen in unseren Schlafsäcken. Charly zieht sich sogar seine lange Unterhose wieder aus – und das heißt schon was! Der Morgen am Baikal: Es ist bewölkt, kein Wind geht – der See liegt ruhig im Morgendunst. Langsam kommt die Sonne hinter den Wolken hervor. Wie schon erwähnt, befindet sich unser Zeltplatz in unmittelbarer Nähe des Gleises, etwa 10 m oberhalb des Sees. Das andere Ufer ist nur schemenhaft zu erkennen. Unsere spontanen Schätzungen liegen zwischen 15 und 30 Kilometern Entfernung. Die Karte sagt etwa 20 km. Obwohl der See bis 80 km breit wird, sind wir immer noch im untersten Zipfel des spitz zulaufenden Sees.
Der Zug ist durch – wir könnten nun das Frühstück auf den Schwellen anrichten. Wir warten aber noch bis es hell ist. Im Kaffeewassertopf zeigen sich gerade die ersten Bläschen, da erscheint im Tunnel aus Richtung Slyudanka ein großer Scheinwerfer. Ein Sonderzug! Was macht der denn jetzt hier? Er verjagt uns von unserem Frühstücksplatz. Alles schnell von den Schwellen räumen und freundlich winken. Jetzt wissen wir auch, wo der Begriff "Schwellenangst" herrührt! Als der Zug durch ist, räumen wir sofort alles wieder auf das Gleis. Es gibt Kaffee, Brot mit Wurst und Rührei; zu guter Letzt Jürgens unvermeidlichen Vitamintrunk.
Während des Frühstücks marschiert eine etwa 15-köpfige russische Wandergruppe an uns vorbei. Daher also der Krach gestern Abend. Volker vermutet offenen Strafvollzug. Bei einer gemischten Gruppe? Wohl doch eher Wochenendausflug.

Nach dem Frühstück gilt es erst einmal einige Schienenkilometer zu machen. Voll aufgerödelt laufen wir auf den Schwellen der alten Baikalstrecke. 1904 ist hier erstmalig ein Zug gefahren (einspurig – das zweite Gleis kam erst zwischen 1907 und 1909 hinzu und fehlt heute wieder). Bis zu diesem Zeitpunkt endete die junge Transsib in Port Baikal. Diese Lücke wurde mit 2 Schiffen geschlossen und stellte bedingt durch das Umladen einen logistischen Engpass dar. Das wurde im Russisch-Japanischen Krieg schmerzhaft deutlich. Deshalb entschied man sich, die Lücke mit einer sogenannten Schnalle (Strecke um den südlichen Baikal) zu schließen. Der Begriff "Goldene Schnalle" leitet sich von den hohen Baukosten, besonders für den ersten Teils der Südumgehung (Port Baikal – Slyudanka) ab. Auf der 84 km langen Strecke wurden 424 sogenannte Ingenieurbauwerke errichtet. Für 39 Tunnel mit insgesamt 7 km Länge und 50 Galerien wurde pro Schienenkilometer ein Waggon Sprengstoff benötigt. Trotz Rekordbauzeit (2 Jahre und 4 Monate) wurde der Krieg verloren und der teuerste Teil der Schnalle wird wegen des Staudamms 50 Jahre später für die Transsib (aber nicht für uns) wertlos.

b0154k.jpg (5476 Byte) Hinter einem der vielen TunnelVergrößern! Vergrößern!Vergrößern!
Auf den 84 Kilometern von Slyudanka bis Port Baikal gibt es 39 Tunnel

Von den befürchteten Mücken keine Spur; auch gestern in der Abenddämmerung nicht. Es war, wie wir gehört haben, im August schon mal recht kalt – da haben die wohl ihre Saison beendet. Die Temperatur ist einfach ideal: Etwa 20 °C. Für Charly zum des Laufen schon eine Spur zu warm. Während der Rast am See wären ihm jedoch ein paar Grad mehr lieber. Nach 6 bis 7 Kilometern erreichen wir eine Bahnstation. Und was erspähen unsere Augen? Ja, eine Draisine – es gibt sie also doch! Zwar ohne Antrieb, aber mit 4 intakten Rädern und einer Bremse. Einen in der Nähe stehenden Holzschuppen identifizieren wir sofort als vermeintliches Draisinendepot! Aber weit und breit kein Mensch, der das Geheimnis lüften könnte.

Etwa 2 km weiter finden wir eine ideale Stelle für eine längere Rast. Wir kochen Tee mit Baikalwasser! Jürgen nimmt ein Bad im See und trocknet dann seine nassgeschwitzten Dollars nackt im Wind. Charly schürft vermeintliches Gold mit der Pfanne des Kochgeschirrs, Volker liegt am Strand und ich schreibe ein wenig. Der Ufersand ist gespickt mit goldfarbenen Partikeln. Ich nehme eine Probe und verklebe sie in Isolierband.
Die Schienentrasse verläuft durchweg 10 m über dem Seeniveau. Auf der anderen Seite steigen sofort steile Felsen empor – ab und zu unterbrochen von einigen Taleinschnitten. Das Ufer ist teilweise mit einer etwa 5 m hohen dicken Betonmauer befestigt. Außerdem gibt es sehr viele Tunnel. Bei längeren Tunnels kommt schon mal die Taschenlampe zum Einsatz.
Charly und Volker sammeln einige alte Nägel, mit denen die Schienen auf den Schwellen fixiert wurden.

b0161k.jpg (2849 Byte) b0169k.jpg (6315 Byte) Am Bahnhof von MarituiVergrößern!

Einige Tunnel sind so lang, dass man kein Tageslicht sieht. Es ist
stockfinster und außerdem recht kühl
.

In Maritui warten wir auf den Zug nach Port Baikal

Nach weiteren 7 km erreichen wir die Station Maritui (klingt wie Südsee). Insgesamt sind wir gestern und heute rund 17 km marschiert: das sind gut 20 Prozent der insgesamt 84 km langen Strecke. Nach etwa 45 Minuten Wartezeit an der Station rollt der Zug nach Port Baikal ein. Die ersehnte Milch haben wir an der Station nicht bekommen; wir füllen unsere große Aluflasche mit Wasser aus einer Pumpe. Noch in Maritui beginnen Volker und Charly Verhandlungen mit dem Lokführer, mit dem Ziel, außen auf der Lok mitfahren zu dürfen. Auf Anhieb klappt das aber nicht – doch das Nachhaken bei der Zugmatruschka führt schließlich doch zum Erfolg. Der Zug hält für die Unerschrockenen, die unbedingt ganz vorne unter dem Scheinwerfer der Lok stehen wollen, auf freier Strecke an. Vom Waggon laufen sie über den Schotter zur Lok.
Ich sitze jetzt schon eine gute halbe Stunde allein im Abteil. Jürgen wollte sich die Aussicht von vorne natürlich auch nicht nehmen lassen. Der Zug hält wieder: Freudestrahlend und leicht fröstelnd tauchen die drei kurz vor der vorletzten Station wieder auf. "Vorne auf der Lok, genau neben dem Scheinwerfer – eine tolle Perspektive", schwärmen sie! Ein paar Dollar pro Nase mussten sie dafür schon abdrücken.

b0183k.jpg (8346 Byte) Videos von fahrender Lok:

1.Codec Indeo 3.2 (alt)
Codec Indeo 5 (ab Win2000)

2.Codec Indeo 3.2 (alt) Codec Indeo 5 (ab Win2000)

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Um Viertel nach Acht sind wir in Port Baikal. In 6 Stunden fährt der Zug wieder zurück. Jetzt machen wir in einer Hafenkneipe so richtig einen drauf! Diese Vorstellung ist zwar verlockend – die Realität sieht jedoch anders aus: Hier ist noch nicht einmal der Hund begraben!

Port Baikal liegt am einzigen Abfluss des Baikalsees, der Angara – die mündet dann in den Jenissei. Ab hier wurden, bis zur Fertigstellung der Südumfahrung ("Goldene Schnalle") im Jahr 1905, auch die Loks und Waggons der Transsib über den See transportiert – und zwar mit einer Fähre. Im Winter wurden die Waggons mit Pferden über das Eis gezogen – ebenso die Passagiere. Heute führt die Transsib, wegen der aufgestauten Angara über die von uns schon befahrene Bergstrecke von Irkutsk nach Slyudanka. Da die alte Trasse jetzt in der Angara liegt, ist Port Baikal nur noch Endstation der von Slyudanka kommenden lokalen Bimmelbahn.
Schrottreife Schiffe verrosten im Hafen. Ein paar Häuser rechts und links der Gleisanlagen und das war's. Man meint, man sei in Köln-Eifeltor auf dem Rangierbahnhof, soviel Gleise liegen hier nebeneinander – wie gesagt, 4 mal pro Woche (Do, Fr, Sa + So) die Bimmelbahn – ach ja, und am Wochenende vielleicht noch der Sonderzug!

Charly, Volker und Jürgen klettern für das Erinnerungsfoto noch mal auf die stehende Lok. Als wir an dem einzigen offenen Laden (einem Magazin) in Port Baikal vorbeikommen, decken wir uns mit dem Nötigsten ein. Genug, um auf dem Weg zu dem aus dem Zug erspähten Café zu entscheiden: Wir essen und trinken am Seeufer! "Ein Bier dazu wäre schon nicht schlecht", werfe ich ein. Charly und ich laufen dann zu dem bereits erwähnten Café – Volker und Jürgen lassen sich schon mal am See nieder. Das Café hat geöffnet – sogar bis 01:00 Uhr. Am Tisch sitzen drei Gestalten und essen eine Art Currywurst. Jürgen wird es nicht glauben, wenn wir es ihm erzählen. Er schwafelt schon seit einigen Tagen davon, selbige gerne vor sich zu haben. Wir kaufen sechs Dosen und zurück geht’s zum Seeufer. Fisch in Öl, Käse mit Brot und dazu ein Bier bei angenehmen 17 °C – mehr kann man nicht verlangen. Abgerundet wird das Ganze mit einer kleinen Flasche Wodka. Ab und zu rattert ein Moped oder ein Motorrad mit Beiwagen über die staubige Piste neben den Gleisen – viel mehr passiert nicht. Die Flasche wird unter sternenklarem Himmel leergemacht. Kurz vor 24.00 Uhr beschließen wir, noch auf einen Sprung in das kleine Café zu gehen. Ein kleiner Raum, eine Theke mit gefüllten Regalen dahinter und 4 Tische mit je 3 oder 4 Plastikstühlen. Der Laden ist fast voll. Wir bekommen noch 2 Hocker an unseren Tisch geschoben. Bei Bier und Cola sowie ein paar Chips genießen wir die Atmosphäre der einzigen Kaschemme in Port Baikal. Wir sind die letzten, die kurz vor eins die Hütte verlassen – langsam trotten wir in Richtung Zug. Der steht noch einsam und verlassen im Dunkeln auf dem Gleis.
Nach und nach tauchen einige Gestalten auf und steigen in den Zug. Volker und Jürgen versuchen kurz vor 02.00 Uhr per Handy nach Deutschland durchzukommen. In Listwanka, einem "Touristenort" auf der anderen Angaraseite, steht wohl ein Sendemast. Es klappt auch! Volker sucht gerade die günstigste Empfangsposition, als sich der Zug in Bewegung setzt. "Ich mach jetzt Schluss, ich muss aufspringen – Tschüss!" Im Zug machen wir es uns auf den ausgeklappten Pritschen gemütlich. In knapp 5 Stunden sind wir sind wieder in Slyudanka. Von dort noch etwa 150 km am Ufer des Baikal entlang, und das war es dann auch schon. Etwas zu kurz, um die Ballade vom Baikalsee zu verinnerlichen, wie ich meine.

Tja, der Baikal – das sibirische Meer – die Perle Sibiriens. Es gibt viele Vergleiche dieser Art! 636 km lang ist er, im Mittel 50 km breit und knapp 1700 m tief. Der tiefste See der Erde. Und alt ist er: Mehr als 25 Millionen Jahre schätzen die Experten. Bei diesem Alter müsste der See schon längst durch die aus den Zuflüssen mitgeführten Schwebestoffe zum Moor geworden sein. Aber die jährliche Verbreiterung des Sees um etwa 2 cm und eine Spaltentiefe zwischen den Kontinentalplatten von 7000 m hält für die Sedimentationen reichlich Platz vor. 20 % der gesamten Süßwasservorräte der Erde soll er beinhalten. Ich zweifle das jedoch an. Werde mich mal erkundigen, wie sie das ausgerechnet haben.


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