Einer spricht Englisch  |  Schlauchbootwetter   |  im Dorf  Stary-Turuchansk 

Sonntag, 11. September 2005

Sonntagsausflug auf dem Jenissej

Mal sehen wo uns der heutige Tag hintreibt. Zumindest regnet es nicht und wir erkennen sogar einen hellen Streifen am Horizont. Wir starten mit Blinis, Marmelade und Kaffee in der Gastinitza. Volker überprüft die Gradeinteilung der Karte mit seinem GPS. Kein Mensch ist auf der Straße! Schlechte Aussichten jemand zu finden, der noch dazu Deutsch oder Englisch sprechen sollte.
Selbst in einer Art Haushaltswarenmagazin bekommen wir keinen Spiritus (womit machen die hier eigentlich ihre Fensterscheiben sauber?), aber immerhin die Auskunft, dass heute keine Busse fahren. Wenigstens eine Sache definitiv geklärt. Wir setzen alle Hoffnung in eine Apotheke.

Uns zieht es wieder ans Ufer des Jenissej. Der nochmalige Besuch des Anlegers bringt jedoch keine neuen Erkenntnisse. Neben den kleinen Booten stehen zahlreiche Blechhütten am Ufer. Darin bewahren die Leute die Bootsmotoren und Fischerzubehör auf. Viele der verrosteten Hütten sind auf eine Art Schlitten montiert, auf dem sie weggezogen werden können. In der Ferne erkennen wir, dass ein Frachtkahn entladen wird.Ein Plakat an einem Holzhaus kündigt ein Boxturnier an, das heute und morgen hier stattfindet. Also ein schöner Boxkampf am Sonntagnachmittag hat doch was, oder? Und das Beste daran ist, da sind Leute! Wir schauen daraufhin im Kulturpalast vorbei, aber da findet das Turnier nicht statt. Immerhin bekommen wir dort die Info, wo sich die beiden Museen in Turuchansk befinden. Eines hat sogar geöffnet:

Es ist ein altes Blockhaus, in dem früher eine Wetterstation untergebracht war. Es gibt auch einige Photos, Karten und verschiedene Fundgegenstände von der Strecke 503. Volker blättert in einem Stapel alter Fotos und Zeichnungen des Stalintempels in Kureika. Einen Stuhl auf dem Stalin gesessen haben soll gibt es auch. Die Dame vom Museum spricht sogar ein paar Brocken Deutsch. Eine richtige Konversation kommt leider nicht zustande, weil sie unseren Fragen doch mit allzu großer Zurückhaltung begegnet – oder sie einfach nicht versteht. turu12.jpg (32813 Byte)
Den nächsten Versuch einen Gesprächspartner zu finden starten wir in einem Haus in das viele Kinder hinein- und hinausgehen. Volker geht sofort hinein, während Jürgen und ich noch versuchen die draußen hängenden Plakate zu entziffern. Als ich kurz darauf auch hineingehe, steht Volker schon einer gut gekleideten Dame gegenüber. Wie sich später herausstellt, die Direktorin dieses Hauses. Es handelt sich um das Haus der ehemaligen Komsomolzenorganisation. Heute dient es dazu Kinder und Jugendliche mit der Natur und Geschichte der Region vertraut zu machen. Außerdem gibt es zahlreiche Sport- und Freizeitaktivitäten. Die Direktorin führt uns zu einem Englisch sprechenden Herrn Mitte Fünfzig, der sich gerade auf einem Laptop einen Film ansieht. Nach kurzer Begrüßung befinden wir uns mitten in einer Museumsführung.
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Mitten in Turuchansk Mit Stefan haben wir endlich einen gefunden, mit dem wir uns auf Englisch unterhalten können.

Um Der Raum indem wir uns befinden ist einem Museum sehr ähnlich. Die Wände sind komplett mit Karten, Photos und Bildern der Region behangen. Es gibt eine kleine Steinsammlung und auch ein paar Dinge von der "503". Und nicht nur irgendwelche Fotos sondern Utensilien, die im vergangenen Monat noch irgendwo in Jermakowo in der Tundra gelegen haben. Unser "Museumsführer", er heißt übrigens Stefan, hat schon zwei Expeditionen dorthin unternommen. Also die Sache mit den geklauten Loks müssen wir nochmals genauer betrachten. Vielleicht gibt es ja Zusammenhänge? Nach einer halben Stunde versuchen wir das Gespräch vorsichtig auf unsere Belange zu wenden. Wir schildern, dass wir gerne mit einem Boot nach Kureika und Jermakowo fahren möchten. Und von dort weiter nach Igarka. Er verweist auf das morgige Schiff. Die Strecke von Jermakowo nach Igarka zu Fuß zu bewältigen ist absolut unmöglich, sagt er.

Nachdem wir einige Zeilen in ein Gästebuch geschrieben haben, fragt er uns, ob wir Interesse haben heute Nachmittag eine Bootsfahrt nach Stary-Turuchansk zu machen. Das Dorf liegt knapp 30 Kilometer entfernt ein Stück den Turuchan hinein. Wir sind natürlich interessiert und verabreden uns für 15:00 Uhr vor unserer Gastinitza. Bevor wir gehen fragen wir Stefan wo wir Brennspiritus kaufen können. Er notiert etwas auf Russisch auf einen Zettel und überreicht ihn uns. Den sollten wir einfach im Magazin vorzeigen – das gibt es überall! Wir nehmen den Zettel sanft lächelnd entgegen – waren wir doch schon überall und haben nach dem Zeug gefragt. Wir versuchen unser Glück sofort im nächsten Magazin. Der Gesichtsausdruck der Bedienung, nachdem sie den Zettel gelesen hat, ist schwer zu beschreiben: Irgendwas zwischen Erstaunen und verschämter Zurückhaltung. Langsam bewegt sie sich zum Nachbartresen – bückt sich – und kommt mit einem 0,25 Liter-Fläschchen wieder zum Vorschein. Immer noch süffisant lächelnd. Das Zeug wird unter der Ladentheke gehandelt – keine Frage. Ich glaube jedoch nicht das die Leute das hier zum Kochen verwenden. Vermutlich denkt das Mädel wir brauchen das! Und da hat sie ja durchaus recht. Zudem haben wir ja ein "Rezept".

Wir testen natürlich sofort aus, ob das Zeug für unsere Zwecke brauchbar ist. Breites Grinsen auf unseren Gesichtern, als das Wasser im Topf innerhalb kürzester Zeit kocht. Warum haben wir uns auf vergangenen Reisen eigentlich immer mit dem Gasbrenner abgemüht? Wir werfen Volker vor, sich nicht nachdrücklich genug für seinen Trangia-Kocher eingesetzt zu haben.Volker und Jürgen scheinen unsere Mamsell verprellt zu haben: Sie sitzen um die Mittagszeit am großen Tisch – in der Küche kocht Madam gerade Suppe. Nach 10 Minuten stehen die zwei wortlos auf und gehen. Für wen hat sie die Suppe wohl gekocht?

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Die nächste Möglichkeit links   oder?
Mit dem Boot fahren wir 30 Kilometer in ein kleines Bauerndorf am Turuchan.
Kurz darauf erscheint unser Lehrer. Den Skipper – einen jungen Burschen – hat er gleich mitgebracht. Mit der Bootstour sei alles klar, sagt er; es gibt nur noch eines zu klären: den Preis! 2000 Rubel (etwa 60 €) soll uns der Trip kosten. Das ist viel Geld, finden wir. In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns von dem Gespräch mit Stefan weitere Infos erhoffen, akzeptieren wir ihn jedoch. Also ab an den Jenissej. Auf dem Weg dorthin nimmt uns Stefan beiseite und bittet uns, ihm jetzt sofort 800 Rubel zu geben. Mit dem Burschen hat er dann sicherlich 1200 ausgemacht! Na ja, was solls – wir geben ihm die 800 Rubel.Der Junge betankt das Boot mit einem Gemisch aus Öl und Benzin. Das Wetter klart auf! Das Boot bietet exakt Platz für fünf Personen. Gut, Stefan dient die Abdeckung des Außenborders als Hocker. Der zweite Vordersitz und die Rückbank sind leidlich komfortabel.
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Schlauchbootwetter auf dem Jenissej

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Die Sonne spiegelt sich in den seichten Wellen des Jenissejs. Laut GPS sind wir mit 30 km/h unterwegs. Die große Kiesbank umfahren wir weitläufig; wir müssen auf die andere Seite des Flusses. Ein etwa 100 m breiter Kanal verbindet den Jenissej mit dem Turuchan. In diesem Kanal müssen wir einen Zwischenstopp einlegen um den Motor abkühlen zu lassen. Stefan erläutert uns, wie hoch das Wasser hier im Frühjahr steigt. Größere Bäume wachsen erst ab einer gewissen Höhe. Die Uferböschungen sind durch den Eisgang regelrecht abgefräst. Das Eis wird hier bis zu einem Meter dick.

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Alt-Turuchansk ist ein Bauerndorf mit etwa 100 Einwohnern. Viele sind deutschstämmig, erzählt uns Stefan. Das Dorf liegt etwa 200 Meter vom Ufer des Turuchan entfernt. Alles ist grün und die Erde ist fast schwarz. Sie soll fruchtbarer sein als die in Turuchansk. Jede Menge landwirtschaftliche Geräte und Maschinen stehen auf den weitläufigen Wiesen zwischen den Holzhäusern. Stefan und seine Frau leben in einem Holzhaus vor dem eine riesige Satellitenschüssel steht. Fast die Hälfte des Hauses nimmt eine Art Museum ein.
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turu24.jpg (47446 Byte) Es gibt einen Mastodonknochen, Gerätschaften aus der Landwirtschaft, Feuersteine und auch einige Sachen von der Stalinbahn. Stefan zeigt uns gerne seine Sammlung. Er ist 59, stammt aus der Ukraine, und ist  sehr an der Geschichte und der Natur dieser Region interessiert.
Nach der Museumsführung sitzen wir mit seiner Frau, die sehr gut Deutsch spricht, bei Tee und Fisch in der guten Stube. Überall liegen große Mengen klein geschnittener Kräuter zum Trocknen aus. Das Trocknen übernimmt eine abenteuerliche Elektroheizung. Vor dem Haus gibt es eine Räucherkammer und einen Schuppen in dem mindestens 20 volle Kartoffelsäcke stehen. Ein paar besonders dicke müssen wir mitnehmen.

Auf der Rückfahrt setzt unser Boot abrupt auf einer Sandbank auf – genauer: die Schraube dreht sich in den Sand und reißt das Boot zur Seite. Mit den Rudern staken wir uns in tieferes Wasser. An der gleichen Stelle wie auf der Hinfahrt machen wir einen Kühlstopp.

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Auf der Rückfahrt ist es merklich kühler.

 

 

Abendstimmung auf dem Turuchan.

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Am späten Abend besucht uns Stefan in unserer Unterkunft. Er hat einen Beutel frischer kleiner Fische (Siljodna) dabei. Stefan zeigt uns wie der Sibirer die Fischlein richtig ißt: Flossen abreißen, die Haut abziehen und dann Stückchen für Stückchen vom Fisch abzupfen. Volker kann gar nicht hinsehen. Ich probiere die Technik aus. Klappt auch so einigermaßen; nur bei den Weibchen ist das, bedingt durch den Kaviar, eine einzige Matscherei! Volker überspielt derweil seine Bilder auf den PC von Stefan. Ein Buchmanuskript von Stefan läd er auf seine Kamerakarte. Wir versprechen, das Buch vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen und es ihm zu schicken, wenn er uns seine E-mail-Adresse mitteilt.


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