Der Kampf mit dem Matsch | Trocknen was das Zeug hält | Polarlicht | Omelette auf dem Schrottplatz | ein Tag in Igarka
Donnerstag, 15. September 2005
Kampf
gegen den Matsch Polarlicht und angesengte Schuhe Es ist noch dunkel! Mein Hals ist staubtrocken und es schmerzt beim Schlucken. Vielleicht vom Rauch gestern Abend? Jedenfalls brauche ich jetzt ein Halsbonbon. Ich habe den Reißverschluß des Schlafsacks schon in der Hand, da höre ich ein kurzes Plick kurz darauf noch ein Plick. Ich lausche weiter und es macht Plick Plick Plick! Vögel? Nein kann nicht sein, wir haben bisher nur wenige gesehen nur ab und zu ein Moorhuhn und einen Auerhahn; und bei einem Auerhahn würde es sicher nicht nur Plick machen. Die Sache ist eindeutig: Es beginnt zu regnen! Reißverschluß auf und Schuhe rein ist mein erster Gedanke dann noch ein Hustenbonbon und zurück in den Schlafsack. Ich glaube die Jungs haben noch gar nichts mitbekommen. Gegen 08:00 Uhr regnet es immer noch. Es hilft nichts, wir müssen raus. Die Plastikplane unter dem Zelt steht zu weit über und hat unsere Liegekule vollaufen lassen. Die Thermomatten sind klatschnass die Schlafsäcke sind noch glimpflich davongekommen. Jürgen und Volker bauen einen Unterstand um darunter Tee zu kochen. Ich verstaue derweil die nassen Matten und die Schlafsäcke. Das dauert alles seine Zeit. Um halb elf regnet es immer noch. Wir entscheiden uns dem Tipp des Jägers zu folgen und die Hütte am Schwarzen Fluss zu suchen. Das bedeutet wir kehren um. Der Matsch der Panzerstraße, der gestern noch so schön gefroren war, hat sich nun in eine glitschige, tiefe Pampe verwandelt Vorsicht ist angesagt. Als ich kurze Zeit später vom Rand auf die Straße springe, versinke ich bis zum Knie im Morast, verliere noch dazu das Gleichgewicht und kippe auf die Seite. Jürgen kommentiert nur lapidar: "Super Norres, Photo?"
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Der Regen wird jetzt immer
stärker. Jürgen und Volker kramen ihre Ponchos aus dem Rucksack. Die passen wie
angegossen; sie sehen aus wie zwei Gummibärchen. Es ist die Wahrheit, zehn Minuten
nachdem die zwei sich verkleidet haben, klart der Himmel auf. Nach weiteren zehn Minuten
dringt die Sonne durch die Wolken. Das gilt es auszunutzen. An einem exponierten Platz, wo
zwei Gleise waagerecht aus dem Damm ragen, schlagen wir unser Lager auf. Das Zelt bauen
wir auf und hängen es schwebend einen Meter über dem Boden auf. Handschuhe, Socken,
Schuhe, Planen, Isomatten und Schlafsäcke hängen wir zum Teil auf Bäume und zum Teil
über ein gespanntes Seil. Jürgen baut unter den zwei Schienen einen Unterstand
man weis ja nie! Mit großen Steinen legen wir eine klassische Feuerstelle an. Heute gibt
es Nudeln in Tomatensauce mit angebratenen Zwiebeln und Trockenpilzen. Einzig meine
Halsschmerzen und eine leichte damit einher gehende Schlappheit verleiden es mir die
Atmosphäre richtig zu genießen. Wir stehen am Feuer und trocknen unsere nassen Schuhe an
den mittlerweile heißen Steinen. Nach einem Wodka auf die Gesundheit verziehe ich mich
ins Zelt.
Jürgen und Volker
genießen weiterhin den Sternenhimmel. Ich bin einfach nur froh im warmen Schlafsack zu
liegen. Gegen Mitternacht höre ich Jürgen etwas rufen: |
Freitag, 16. September 2006
Omelette auf dem SchrottplatzMuss echt heiss gewesen sein, das gestrige Polarlicht!
Volker hat sich einen Stiefel versengt das Leder hat sich verzogen und die
Schaftfüllung ist verkokelt. Wir brauchen keinen Wecker in der Wildnis. Morgens brechen wir zwischen zehn und halb elf auf und abends geht es solange bis der Holzvorrat für das Feuer erschöpft ist. Der Weg fordert jetzt weniger Anstrengung und meine Halsschmerzen haben sich auch gebessert.
Wir sind nicht mehr weit von
Igarka entfernt. Das merken wir an den zunehmend lauter werdenden Flughafengeräuschen.
Wenn das Wetter halbwegs mitspielt, verbringen wir eine weitere Nacht im Zelt. Nur wo?
"Was haltet ihr denn von einem Platz in der Nähe der Holz- und Schrottberge, meint
Volker!" Wir glauben zunächst er will uns verulken aber er meint es ernst. An
dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Volker schon seit frühester Jugend eine Liebe zu
solchen Plätzen hat. Sperrmülltage sind bei ihm seit Jahrzehnten rot im Kalender
angestrichen. In Freundeskreisen erzählt man sich folgende Geschichte: Volker
verabschiedet nach einem gemütlichen Abend seine Gäste es ist wieder mal spät
geworden. Zum Erstaunen der Gäste zieht er sich ebenfalls Schuhe und Jacke an und geht
mit nach draußen. Auf die erstaunte Frage, wo er denn jetzt in der Nacht noch hin wolle,
antwortet Volker lapidar: Heute ist Sperrmüll und in Sperrmüllnächten bin ich immer
unterwegs! Als Jürgen auf dem Weg zum Depot (in diesem speziellen Fall ist es ein Magazin) die Schrottberge sieht, denkt er an Szenen aus amerikanischen Filmen, die in Großstädten spielen: "Wir vor einer Tonne in der Feuer brennt mit abgeschnittenen Fingerhandschuhen!" Und so ist Volkers Vorschlag auf diesem Areal zu zelten praktisch angenommen.Wir durchstreifen das Gelände und staunen welche Mengen an Holz hier abgekippt wurden. Ein 10 Meter hoher "Felsen" aus Holzschnipseln läßt erahnen, wie hoch die Schicht einmal gewesen ist. In dem Sägewerk sollen 5000 Menschen gearbeitet haben. Neben Holz gibt es auch jede Menge Metallschrott in allen Ausführungen.
Nachdem wir einen geeigneten Zeltplatz gefunden haben, gilt es diesen stilecht auszugestalten. Aus Stücken alter Lüftungskanäle und aus Elektronikschränken bauen wir eine bequeme Sitzgruppe und aus diversen rostigen Kleinteilen noch einen Bullerofen. Schon kann es losgehen. Mit Schrecken stelle ich während der Pfannkuchenzubereitung fest, dass ich das Mehl vergessen habe. Schon ein mittelschwerer Fauxpas für einen ausgelobten Pfannkuchenfreund. Aus Trockenei, Trockenmilch, Wasser und Wurststückchen lassen sich wenigstens noch Omelettes bereiten. Auf dem offenen Feuer geschwenkt schmecken sie vorzüglich und mildern den Ärger über das fehlende Mehl etwas ab.
Volker ist sichtlich zufrieden. Ein Sonnenuntergang auf einer Müllkippe hat für ihn etwas Faszinierendes. Und in der Tat, das warme Abendlicht verleiht auch diesem Ort eine friedliche Ausstrahlung. Den Rest des Abends (bis gegen 00:30 Uhr) warten wir auf das Polarlicht. Volker und Jürgen schildern mir zum wiederholten Male das gestrige Schauspiel in den schillerndsten Farben. Ich glaube allerdings wir haben heute zu wenig Wodka um die Lichter tanzen zu sehen. Ok, ist ja schon gut! |
Samstag, 17. September 2005
Ein Tag in IgarkaAls Jürgen
Anstalten macht aufzustehen setzt heftiger Regen ein. Volker liest etwas über Igarka vor
und wir kochen Kaffee unter dem winzigen Vorzelt. Als der Regen nachläßt rödeln wir
auf. Die friedliche Stimmung des gestrigen Abends ist dahin. Das Wetter verleiht der
Gegend eine Art Endzeitcharakter. Im Nieselregen laufen wir durch Alt-Igarka. Laut unseren
Reiseunterlagen gibt es in Igarka zwei Hotels. Die Gastinitza in der Nähe des
Permafrostmuseums ist genau die richtige Unterkunft für uns. Ein altes Holzhaus
windschief von außen wie von innen und gut geheizt. Wir mieten ein Zimmer mit zwei Betten
und Küchenbenutzung für 150 Rubel pro Nase. In dem völlig überheizten Raum trocknen
unsere Sachen hervorragend. Außerdem genehmigen wir uns eine Dusche eine wahre
Wohltat! Meine Hose weiche ich in einem Bottich ein und walke sie durch. Schlammige Brühe gurgelt durch den Wannenausguss. Heute steht Igarka auf dem Programm. Unsere erste Station ist natürlich das Permafrostmuseum. Das hat aber anscheinend heute geschlossen.
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Auf dem Gelände "1948-53" treffen wir
auf einen Wärter, der uns zu verstehen gibt, dass es sich hier um ein Betonwerk handelt.
Volker bietet ihm in seiner Bude mit der dick isolierten Holztüre, einen Zigarillo an.
Bett, Tisch, Stuhl, Ofen und sogar ein Fernseher auf 3,5 m² sind sein Reich. Wir laufen weiter in Richtung Neu-Igarka. Auf der Schotterstraße sind an einigen Stellen die Reste ehemaliger Schwellen zu erkennen ansonsten schlecht isolierte Fernwärmeleitungen und halb zerfallene Holzhäuser. Doch auch in noch so heruntergekommen Hütten, steht oftmals ein Blümchen auf der Fensterbank. Die Kleidung der Leute die wir treffen, steht in krassem Gegensatz zu diesem Umfeld.
Im Zentrum Igarkas schauen wir in jede offene Türe. Nicht um etwas zu kaufen, sondern einfach aus Interesse. Unter anderem landen wir in einer Bar. Eine kleine Discokugel und die Broilertheke fallen erstes ins Auge. Wir bestellen ein Bier und ein paar geröstete Brotwürfel die halben Broiler sehen aus als lägen sie schon seit Tagen in der Auslage. An der Wand hängt eine Luftaufnahme von Igarka. Etwa 20 acht- bis zehnstöckige Hochhausblöcke (fast ausnahmslos Ziegelbauten) bilden das neue Zentrum. Später statten wir der Stadtbücherei noch einen Besuch ab. Igarka hat heute etwa 7000 Einwohner und macht auf uns einen trostlosen Eindruck. Also wenn ich zwischen Igarka und Turuchansk wählen müsste, würde ich mich für Turuchansk entscheiden. Igarkas Geschichte beginnt erst 1929. Den Hafen von Igarka können Seeschiffe anlaufen. So wurde hier ein Zentrum der Holzindustrie aufgebaut. Das Holz wurde über den Jenissej nach Igarka geflößt, im Sägewerk verarbeitet und mit großen Schiffen über das Polarmeer weiter transportiert. Heute beherrschen ausrangierte Kräne, Schrottberge und heruntergekommene Holzhäuser das Bild. Obwohl man einigen Holzhäusern ihre ehemalige Pracht zum Teil noch ansieht.1948 wurde von hier aus mit dem Bau der Stalinbahn begonnen. Heute liegt das Sägewerk in den letzten Zügen und wir sehen praktisch keine Zukunft für Igarka. Fragen, die wir im Permafrostmuseum stellen wollen: - Wo stehen die "geklauten" Loks aus Jermakowo?
Mit uns wohnt ein Russe in der Gastinitza. Er
bittet uns, ihm in sein Zimmer zu folgen. Dort zeigt er uns auf seinem Laptop eine Diashow
von einer Fischexkursion per Hubschrauber. Auch er bestätigt uns, dass eine Stunde 40000
Rubel kostet. |
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