Unser Schiff legt an | Passagiere der 4. Klasse | In den Mühlen der Justiz | auf den Freispruch einen Broiler
Sonntag, 18. September 2005
Mit dem Schiff ins Sperrgebiet Wahltag in Deutschland! Wir haben keine Wahl, wir müssen
das Schiff nach Dudinka nehmen. In der schiefen Küche kochen wir Kaffee danach
packen wir unsere Sachen. Es ist jetzt 10 Uhr. In den vergangenen Tagen sind wir immer
gegen 10:30 Uhr aufgebrochen warum sollen wir das ändern?
Wir haben uns kaum auf der Bank vor dem Museum niedergelassen, werden wir auch schon gefragt, ob wir einen Tee trinken wollen. Ludmilla vom Museum läd uns ein. Wir erfahren von ihr, dass Maria bereits 2-fache Großmutter ist und ihr Mann Alexander "soo einen Kopf" hat (sie hält beide Hände in Ohrhöhe neben den Kopf) sprich sehr intelligent ist. Das Permafrostmuseum feiert dieses Jahr den vierzigsten Geburtstag. Volker telefoniert mit Maria und bedankt sich auch im Namen von Lydia nochmals für Ihre Hilfe. Außerdem versucht er unsere Eile von vor fünf Tagen halbwegs zu rechtfertigen. Wir warten am Anleger auf unser Schiff. Um 15:00 Uhr packen wir den Kocher aus und kochen Kaffee. Bei Keksen, Wurst und Käse beobachten wir das Geschehen am Anleger von der etwa 15 Meter höher gelegenen Holzplattform aus. Viel tut sich nicht. Einige Autos und auch zwei LKW stehen am Ufer und Leute kommen und gehen. Auch um 17:00 Uhr ist das Bild nahezu unverändert. Ein Schlepper bugsiert einen Schwimmkran am Anleger vorbei. Kurz darauf macht ein kleiner Containerfrachter fest. Ab und zu fährt ein Motorboot vorbei. Die Leute scheinen das hier als Freizeitbeschäftigung anzusehen. Man trifft sich am Sonntag am Anleger und nicht erst eine, sondern 5 bis 6 Stunden bevor das Schiff kommt. Volker meint, die wissen ganz genau wann das Schiff ankommt ich glaube eher die wollen es gar nicht wissen. |
Nach der Fischorgie
packe ich meinen Schlafsack, koordiniere den Wecktermin und verziehe mich in die
ausgesuchte Ecke an Backbord. Der Mond scheint der Jenissej ist ruhig. Ideales
Kureikawetter denke ich bei mir und rolle mich in den Schlafsack. Kurze Zeit später
erhellt eine Leuchtkugel den Himmel. Das Schiff hat gestoppt und Leute steigen in ein
kleines Boot um. Als das Boot ablegt, erhellen zwei weitere Leuchtkugeln den Himmel.
Unweigerlich muss ich an die vier Schlauchboote denken. Um halb sechs wache ich auf
Volker und Jürgen haben mich doch glatt schlafen lassen. Ich finde die zwei schlafend in
einer dunklen Ecke des hinteren Treppenaufgangs. Volker liegt auf der Bank, sein Rucksack
darunter. Jürgen sichert diesen indem er es sich davor auf den beiden anderen Rucksäcken
bequem gemacht hat.
|
Monttag, 19. September 2005
In den Mühlen
der Justiz dreimal Freispruchen Um 6:45 Uhr legen wir in Dudinka an (ha,
Wette gewonnen!). Nieselregen, Nebel und Wind! Von der Stadt sehen wir nichts und das soll
auch für die nächsten 10 Stunden so bleiben. Aber immer der Reihe nach! Wir trinken unseren mitgebrachten Apfelsaft und essen einen
Müsliriegel. Wir können nicht abschätzen, ob überhaupt irgend etwas in unserer Sache
unternommen wird. Als ich nach anderthalb Stunden ungeduldig aufstehe und mir überlege
wie wir am Besten unseren Unmut über die offensichtliche Untätigkeit kundtun sollen,
kommt doch Bewegung in die Angelegenheit. Auf dem Flur sehen wir eine blonde Frau in Zivil
mit unseren Pässen und kurz darauf wird uns eine junge Frau als unsere Dolmetscherin
vorgestellt. Uns gegenüber nehmen drei Milizbeamte Platz. Ein weiterer, sowie die blonde
Zivilistin stehen dahinter. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt die Dolmetscherin und
wir drei es kann also losgehen! Gut, eine Einladung haben wir nicht wir sind aber trotzdem hier und nun? Wir verweisen auf unser Dokument im Pass, auf dem Dudinka und Norilsk eingetragen sind. Aber das scheint sie überhaupt nicht zu interessieren. Russische Protokolle sind schon eine Sache für sich. Wir müssen unsere gesamte Reiseroute von Deutschland bis Dudinka darlegen. Alles wird separat für jeden von uns handschriftlich aufgeschrieben und das für einen nach dem anderen, nicht parallel. So was dauert seine Zeit. Mit welchen Schiffen wir gefahren sind und wo wir die Tickets gekauft haben, fragen sie uns. Na auf dem Schiff, entgegnen wir. Ungläubig betrachten sie unsere Schiffstickets, wohl immer noch nicht überzeugt, dass man die einfach so auf dem Schiff kaufen kann. Schon merkwürdig. Noch größeres Erstaunen löst unsere Liste mit den Hotelempfehlungen für Dudinka und Norilsk aus. Das wir die aus Reiseführern und aus dem Internet haben, verwundert die andere Tischseite sichtlich. Tja Freunde, so geschlossen ist eure Stadt nun auch wieder nicht! Über der ganzen Prozedure, so amüsant sie auch teilweise erscheinen mag, schwebt natürlich noch immer das Schwert der Ungewissheit. Wir wissen nicht was die mit uns vorhaben. Im Gespräch war schon die Rede davon, uns mit dem Schiff zurückzuschicken. Daraufhin studiert Volker sofort unseren Schiffsplan: "Also mit dem Schiff können sie uns nicht mehr zurückschicken, das müsste längst weg sein!" Beruhigend! Unsere Infomappe liegt offen auf dem Tisch. Volker stößt mich an, ja die Satellitenkarten nicht aufzublättern. Das könnten die irgendwie in den falschen Hals kriegen, meint er. Wir erkennen jetzt, dass sich die Milizbeamten überhaupt nicht dafür interessieren was wir hier vorhaben und wie lange wir bleiben wollen. Für sie ist einzig und allein wichtig, dass wir ohne Einladung aufgetaucht sind. Und das ist gegen das Gesetz und muss protokolliert werden. In einem Gesetzbuch zeigt man uns sogar den entsprechenden Paragraphen gegen den wir verstoßen haben. Nun rückt unser Dudinka-Norilsk-Papier plötzlich in den Mittelpunkt. Wir bekunden wahrheitsgemäß, dass wir das Dokument aus einem Reisebüro in Deutschland haben. Interessant ist jedoch der Stempel auf dem Papier, der kommt nämlich aus Moskau. Es ist jetzt 12:30 Uhr. In unserer Naivität glauben wir, dass die Protokollschreiber jetzt langsam zum Ende kommen müssten. Das tun sie auch mit den ersten drei Protokollen. Fast übergangslos fangen sie an, ein weiteres Blatt für jeden von uns auszufüllen. Darin steht unter anderem, dass Kopien von all unseren Papieren gemacht wurden und das wir auf unser Recht zu telefonieren hingewiesen wurden. Jetzt herrscht leichte Verwunderung auf der anderen Seite des Tisches sprich bei uns. Zudem drängt uns die Dolmetscherin geradezu, diese Passagen im Protokoll eigenhändig zu unterschreiben: "Sie haben das Recht zu telefonieren unterschreiben Sie das hier!" Volker merkt daraufhin leicht gereizt an, dass er jetzt nicht telefonieren muss. "Ich kann jederzeit telefonieren wenn ich will, sagt er!" Doch jetzt einfach sein Handy zu zücken und vor versammelter Mannschaft nach Deutschland zu telefonieren, das macht er denn doch nicht. Er gibt statt dessen vor auf die Toilette zu müssen. Von dort gibt er unsere derzeitige Lage quasi live an Brigitte durch ( " ... sind jetzt in Dudinka sie halten uns auf der Milizstation fest muss jetzt Schluss machen melde mich später wieder, wenn es noch geht!")
Das letzte Protokoll wird uns ausgehändigt.
Unsere Dolmetscherin sagt, jetzt sei Mittagspause und danach ist dann die
Gerichtsverhandlung. Ah ja, die haben hier alles aufgenommen und was mit uns passiert wird
an anderer Stelle entschieden. Aber wo? Volker befürchtet, dass sämtliche Unterlagen
nach Krasnojarsk gefaxt werden und dort über uns entschieden wird. Ist aber nicht so! Um
15:00 Uhr fahren wir mit einem Milizauto ins Gerichtsgebäude. Dudinka ist Hauptstadt des
autonomen Bezirkes Tajmyr und verfügt über ein Solches. Nach einer knappen Stunde wird zuerst Jürgen hereingerufen (Aktennummer 586). Volker
und ich schauen uns stumm an. Ob da auch so ein Käfig drin ist? Für was soll man uns
denn verurteilen? Wir haben ein Visum für Dudinka und das man noch dazu eine Einladung
braucht wußten wir nicht. Trotzdem bleibt ein leicht mulmiges Gefühl. Vielleicht
verdonnern die uns zu einer saftigen Geldstrafe auszuschließen ist das nicht! Bei Volker und mir (Aktennummer 587 und 588) läuft die Sache dann
schon bedeutend schneller ab. Jürgen musste noch das ein oder andere erläutern. Die
Richterin, eine hübsche Frau Ende zwanzig, macht einen sehr sympatischen Eindruck. Sie
blättert meine Unterlagen lässig durch und schüttelt nur lächelnd den Kopf. Unserer
Dolmetscherin, die uns den ganzen Tag über begleitet hat, hätte es hier nicht zwingend
bedurft. Die Richterin spricht ausgezeichnet Englisch. Logischerweise werden auch Volker
und ich freigesprochen. Jürgen berichtet im Nachhinein, dass die Richterin im vorigen
Jahr mit ihrer Tochter in Köln war. Na dann konnte ja nichts mehr schief gehen! Also eine
Nacht in einem russischen Gefängnis wäre für unser Image sowie in unseren
Aufzeichnungen schon steil reingekommen, meint Jürgen. Aber ehrlich gesagt sind wir doch
alle zufrieden mit dem Ausgang. Im Anschluss an die Verhandlung fahren wir noch ins
Immigration Office. Wir nehmen an, dass man uns dort irgendein Papier ausstellt, das es
uns erlaubt uns hier und eventuell auch in Norilsk frei zu bewegen. Aber das bekommen wir
nicht. Die blonde Zivilistin ist auch wieder da. Sie ist anscheinend die Chefin der
Immigration-Behörde. Ihr Blick verrät: Sie hätte uns lieber verurteilt gesehen! So
deuten wir ihn zumindest.
Zufällig landen wir in einem
Magazin, das frisch gebratene Broiler im Angebot hat. Drei halbe mit
Ketchup, Brot und ein paar Gürkchen erscheinen uns angemessen um unseren Freispruch zu
feiern. In Volkers großem Zimmer breiten wir die Sachen auf dem Tisch aus. Während des
Essens rufen wir Charly an. Ihm geht es gottseidank besser. Wir schildern ihm kurz und
knapp unseren Tagesablauf und bitten ihn auch Brigitte zu informieren. |
weiter im Text | weiterführende Links |