Permafrostmuseum | Museum "503" | eiskalte Nacht | Überquerung des Schwarzen Flusses
Dienstag, 13. September 2005
Permafrostmuseum und 503-Museum in Igarka ab in den WaldEs
beginnt zu dämmern. Auf der Steuerbordseite heben sich die Bäume mehr und mehr vom
Horizont ab. Also in Goroshika hat der Kahn jedenfalls nicht gehalten. Das Sofa ist
übrigens auch noch da. Der Sturm hat jetzt nachgelassen. Gegen halb sieben lege ich mich
auf eines der zwei kleinen Rundsofas neben den Treppenabgängen. Jürgen hat eines davon
schon seit geraumer Zeit belegt. Volker hält jetzt Wache. Kurz nach acht weckt er uns mit den Worten: "He Jungs, wollt ihr Jermakowo nicht wenigstens mal vom Schiff aus sehen?" Er steht mit seinem GPS auf der Backbordseite und deutet auf ein paar Punkte am Ufer. Strahlender Sonnenschein backbord- wie auch steuerbordseitig.
Volkers GPS lügt nicht. Wir
starren etwas wehmütig ans Ufer, wo unser eigentliches Ziel unerreichbar für uns
vorbeizieht. Es sind einige Boote und Hütten zu sehen. Für uns ist auch eine imaginäre
Lokomotive ganz deutlich zu erkennen. Wir zapfen uns aus einem Samowar heißes Wasser und
trinken Kaffee. Dazu gibt es frisch gebackene Teilchen aus einem kleine Laden, der zur
Frühstückszeit geöffnet hat. Die Klasse-4-Reisenden wissen das besonders zu schätzen.
Kauend und schlürfend schauen wir auf dem Fenster ans Ufer. Es ist schon ein mächtiger
Fluss der Jenissej. Das Wetter versetzt uns einen zusätzlichen Stich sozusagen
einen Sonnenstich. Wir wünschen uns in die Tundra. Apropos "Everything has to be
checked in the real world": Unsere, in der Vorbereitungsphase diskutierte,
Schlauchbootaktion hätte sicherlich zur Belustigung der Besatzung und der Passagiere
beigetragen: Käptn, can you please stop here our boats are blowed up now!" Wir nähern uns Igarka. Wir kommen überein zuerst im Permafrostmuseum vorbeizuschauen. Vielleicht bietet sich ja die Möglichkeit die Direktorin zu sprechen. Einen halbwegs erschwinglichen Hubschrauberflug oder ein Boot nach Jermakowo wären schon nach unserem Geschmack. Ansonsten haken wir den Eisenbahnkram zumindest für dieses Jahr ab und schlagen uns südlich von Igarka in die Tundra.
In Igarka latschen wir auf der Suche nach dem Permafrostmuseum zuerst in die Neustadt, um dann festzustellen, dass das Museum in der Altstadt liegt. Mit dem Bus sind wir jedoch in 10 Minuten am Museum. Wir fahren an dem riesigen Areal eines Sägewerkes vorbei.
|
Das Permafrostmuseum in Igarka Nach einem Blick in den Museumsraum glauben wir zunächst im falschen Museum gelandet zu sein. Die 400 Rubel, die Jürgen dem Mädel an der Kasse schon auf den Tisch gelegt hat, kassiert er kurzerhand wieder ein. Als wir nach lebhafter Diskussion erkennen, dass es sich doch um das Permafrostmuseum handelt, schiebt Jürgen das Eintrittsgeld wieder auf den Tisch. Peinlich, peinlich! Jetzt machen wir deutlich, dass wir gerne mit Marija Wjatscheslawna, der Direktorin des Museums, sprechen möchten. Sie wollen versuchen, Sie zu erreichen, während wir das Museum besichtigen.
Das Museum "503" in Igarka Als wir wieder oben sind erfahren wir, dass Marija in einer Dreiviertelstunde eintreffen wird. In der Zwischenzeit könnten wir das gegenüberliegende 503-Museum besuchen. Das kleine Holzhaus gibt uns einen sehr guten Überblick über das Lagerleben an der Stalinbahn. Neben den uns schon bekannten Fotos (fast alle stammen aus der Region um Jermakowo) und Lagereinrichtungen erfahren wir, dass es in den Lagern sogar Theatergruppen gegeben hat. Auch Bilder von Zwangsarbeitern sind ausgestellt. Sicher, es gab viele Interlektuelle in den Lagern, trotzdem ist es für uns unvorstellbar, dass die Menschen bei dieser "Arbeit" noch Zeit für solche Dinge aufbringen konnten. Doch vielleicht war es gerade die Beschäftigung mit der Kunst, die das "Leben" wenigstens etwas erträglicher machte?
|
Während Jürgen und Volker nach dem zweiten Museum noch ein drittes Häuschen aufsuchen, steht Marija in der Tür: Eine elegant gekleidete Frau mit Ausstrahlung, die noch dazu Deutsch spricht. Ich schildere Ihr kurz unseren bisherigen Reiseverlauf und das was wir noch vorhaben. Die Fahrt mit einem kleinen Boot nach Jermakowo schließt sie praktisch aus es ist zu windig! Ein Hubschrauberflug (wohl durchaus möglich) kostet pro Stunde 45.000 Rubel. Bis Jermakowo fliegt er 40 Minuten. Ich überschlage kurz was es kosten würde uns dort abzusetzen und vier Tage später wieder abzuholen. Das sind etwa 120.000 Rubel (knapp 4000 )! Nun ja, dieses Jahr nicht. Da kommt mir der Vorschlag von Johannes Glöckner, dem WDR-Journalisten aus Dortmund, wieder in den Sinn: Interessierte Leute zusammenzubekommen und gemeinsam einen Hubschrauber chartern (20 Passagiere passen rein). Wir wenden uns wieder realistischeren Zielen zu und fragen nach dem Zustand der Eisenbahntrasse südlich von Igarka. Eine der Museumsdamen hat uns schon gesagt, dass es unmöglich ist dort entlang zu laufen, aber Marija scheint uns schon zuzutrauen zumindest bis zum Schwarzen Fluss zu kommen. Wir studieren die Karte und Marija zeigt uns an welchen Stellen noch Lager existieren. Jürgen ist mit der Tatsache, dass wir nun notgedrungen von Igarka nach Süden marschieren werden nicht unglücklich. Hat er doch in fast allen Diskussionen der letzten Tage Igarka als Ausgangspunkt favorisiert. Weiß der Himmel warum! Ist Igarka vielleicht die Partnerstadt von Engelskirchen? Als wir nochmals erwähnen, wie gerne
wir doch in Kureika abgesetzt worden wären, ernten wir von allen Seiten nur erstaunte
Blicke. "Kureika nein, das ist heute nicht mehr schön", so Marija
wörtlich! Es drängt uns auf die Piste. Es ist jetzt schon 17:00 Uhr und wir wollen heute noch ein paar Kilometer machen. Außerdem müssen wir uns noch mit Lebensmitteln versorgen und den richtigen Weg finden. Als wir erfahren haben, dass die Piste begehbar ist, sind wir auch schon so gut wie durch die Tür. Erst im Nachhinein denken wir darüber nach, wie unser Auftritt wohl auf die Damen vom Museum und Marija gewirkt haben muss: Eh, das ist hier gar nicht das Permafrostmuseum, sofort das Geld wieder
zurück! Und wir wundern uns, dass wir keinen Tee angeboten bekommen haben! Auch
ein paar Fragen hätten wir durchaus noch stellen sollen: Wo sind die beiden angeblich
geklauten Lokomotiven abgeblieben? Worin besteht das Geheimnis von Kureika? Was hat Marija
in Köln gemacht? Wir müssen nach unserer Rückkehr unbedingt noch mal im Museum
vorbeizuschauen! Im Magazin an der Bushaltestelle decken wir uns mit dem Notwendigen ein. Um 19:00 Uhr packt Jürgen den Flachmann aus. Wir sind auf dem richtigen Weg. Der Punkt wird von Volker mit dem GPS als Ausgangspunkt markiert. Die um-gestürzten Holzmasten der Telegrafenleitung sind untrügliche Zeichen dafür. Die Birken sind, bis auf ein paar wenige Blätter, alle schon kahl; die Lärchen strahlen jedoch noch in den schönsten Gelbtönen. Die Blaubeerzeit ist leider schon zu Ende. Es hängen nur noch trockene, verschrumpelte Beeren an den fast blattlosen Sträuchern.
|
Mittwoch, 14. September 2005
Eiskalte Nacht
Überquerung des Schwarzen FlussesWas passiert mit Nebel wenn die Temperatur
unter 0 °C fällt? Richtig, Rauhreif! Unsere Rucksackplanen sind vereist und das Wasser
in den Flaschen ist gefroren. So um die 5 °C werden es nachts wohl gewesen sein.
Als wir aus dem Zelt kriechen grüßt uns ein Jäger, der mit Rucksack und Flinte in
unsere Richtung marschiert. Mit klammen Fingern packen wir unsere Klamotten zusammen und bauen das Zelt ab. Ohne Frühstück, nur mit einem Müsliriegel auf der Faust, marschieren wir los. Es ist jetzt (Volker und Jürgen beknien mich die Uhrzeit nicht aufzuschreiben) 09:45 Uhr (Chronistenpflicht)! Am ersten Tag dauern die Handgriffe halt etwas länger noch dazu bei der Kälte. Das Wetter ist herrlich. Nach anfänglich leichter Bewölkung blicken wir jetzt in einen strahlend blauen Himmel. Die Trasse ist durchaus noch als solche zu erkennen, sieht aber eher aus wie eine Panzerstraße in der Wahner Heide.
|
Also das Bächlein ist wohl doch
nicht der Schwarze Fluss gewesen. Der liegt jetzt vor uns,
ist erheblich breiter und hat ordentlich Strömung. Volker und ich laufen in
entgegengesetzte Richtungen am Ufer entlang, um eine geeignete Überquerungs-möglichkeit
zu finden. Die Panzerfahrzeugfurt scheint jedoch allem Anschein nach die beste zu sein.
Ich entledige mich bis zum Bauchnabel sämtlicher Klamotten, bewaffne mich mit einem Stock
und teste erst einmal ohne Klamotten Tiefe und Strömung. Es ist machbar das Wasser
geht im ersten Viertel maximal bis zum halben Oberschenkel. Unangenehm ist nicht die
Wassertemperatur, sondern das steinige Flussbett. Jetzt schlägt die Stunde des alten
Pfadfinderfuchses: Volker zieht ein Paar Badeschlappen und eine 30 m lange Leine aus
seinem Gestellrucksack! Mit sämtlichem Rödel, Stock und Latschen
"gesichert" mit Volkers Schnur, wate ich durch den etwa 25 m breiten Fluss. Es
klappt problemlos. Drüben binde ich die Schlappen an die Leine und Volker zieht sie
zurück. Die beiden durchqueren den Fluss auf die gleiche Weise. Wieder in den Schuhen
fühlen sich die Füße wohlig warm an.
Unser heutiges Tagespensum laut GPS beträgt Luftlinie 14,1 Kilometer wir errechnen daraus eine Marschleistung von etwa 17 Kilometern. Das Zelt bauen wir auf einer dicken Moosfläche im lichten Wald auf direkt neben einem umgestürzten Telegrafenmast. Es ist heute wesentlich wärmer als gestern. Um 21:00 Uhr mißt Volkers Armcomputer am Baum hängend: +8,5 °C. Nach dem Essen (Nudelsuppe, verfeinert mit der Kartoffel aus Turuchansk) sammeln Volker und Jürgen Holz für ein Feuer auf der Panzerstraße. Der Spiritus bewährt sich mal wieder blendend. Am Feuer reichen wir Kekse und Schokolade. Volker trocknet seine weißen Trekkingsocken, die er eigens für diese Tour (leider zwei Nummern zu groß) gekauft hat.
|
weiter im Text | weiterführende Links |