Tagträume auf den Straßen der Mongolei

Zugegeben, vier Tage sind keine lange Zeit und 1.300 km sind keine lange Strecke gemessen an der Ausdehnung und der vielfältigen Landschaft der Mongolei. Auch das Wetter zeigte sich während unserer Tour von seiner harmlosesten Seite: trocken, sonnig, und daher tagsüber angenehm warm. Kurzum:  Unser Wissen über die Unkalkulierbarkeit von Überlandreisen beziehen wir im wesentlichen aus Reiseführern.
Und doch hat mir das Unterwegssein in der Mongolei prägende Erinnerungen vermittelt, denn es unterscheidet sich wesentlich vom westlichen Autoreisen.
Bezeichnend ist schon die Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, in der Mongolei einfach nur ein Auto zu mieten und damit selbst auf Tour zu gehen. Zu jedem Fahrzeug gehört ein stolzer Fahrer, und der ist mit seinen vielfältigen Kenntnissen fast wichtiger als das Fahrzeug selbst. Den ersten Beweis seiner Fähigkeiten konnte unser Fahrer schon in der Stadt antreten. Zentimeter um Zentimeter kämpfte er sich erfolgreich durch den fast stehenden Verkehr aus der Stadt heraus. Hinter der Stadtgrenze dann der volle Kontrast: kaum Verkehr, dafür Straßenverhältnisse, die in jeder Sekunde die volle Aufmerksamkeit des Fahrers erfordern. Lässiges Cruisen wie auf mitteleuropäischen Autobahnen ist hier in der Mongolei für keinen Straßenmeter denkbar.

Nur ein Bruchteil aller Strassen sind in der Mongolei geteert. Die Qualität dieser geteerten Teilstücke ist darüber hinaus noch sehr unterschiedlich. Sie reicht im besten Fall aus um ca. 70km/h zu fahren, schlimmstenfalls, aber keineswegs selten, ist der Zustand so schlecht, dass man lieber Parallelwege durch die Steppe fährt, als sich durch die scharfkantigen Schlaglöcher der Straße zu schlängeln.

Die zweite Klasse von Straßen sind Schotterpisten, die gerade in der letzten Zeit sehr aufwändig erstellt werden. Aufwändig deshalb, weil man die Piste auf eine erhöhte Trasse legt, die sich in ca. zwei Meter Höhe in großzügigen Bögen durch die Täler schwingt. Den Aufwand, das hierfür nötige Schottermaterial herbeizuschaffen, kann ich nur schwer abschätzen, dafür konnten wir oft beobachten, wie schwierig sich die wegen der erhöhten Trassenführung notwendigen  Brückenbauwerke gestalteten. Zu anderen Jahreszeiten ist scheinbar mit größeren Wassermengen zu rechnen, jedenfalls reicht es nicht, alle paar Meter eine Betonröhre einzulassen. Jedes dieser Bauwerke wird mit großer Sorgfalt individuell angelegt, die hierfür zur Verfügung stehenden Maschinen und Werkzeuge stammen jedoch eher aus den Tiefen des vorigen Jahrhunderts.
Das Ergebnis all dieser Bemühungen präsentierte sich uns eher ernüchternd. In regenreichen Jahreszeiten mag der Vorteil dieser Schotterpisten bestechend sein, da die Fahrt in den ausgefahrenen Fahrrinnen im freien Gelände zu oft von Schlammlöchern behindert wird.
Von Feuchtigkeit ist jetzt jedoch weit und breit keine Spur und unser Fahrer zweigt oft von diesen Edelpisten ab, da die obere Schotterschicht entweder von markigen Schlaglöchern durchsetzt ist, viel öfter aber der "Waschbrettpisten"-Effekt (stark ausgeprägte Wellen in kurzen Abständen) den Fahrer zu einer angepassten Geschwindigkeit zwingt, die oftmals nicht mit der Fahrwerksabstimmung unseres russischen Kleintransporters harmonieren.
Die letzte und wirklich vorherrschende Art von mongolischen Straßen besteht aus unbefestigten Fahrspuren durch das freie Gelände. Obwohl diese Spuren oftmals den Charakter eines Hauptverkehrsweges haben, scheinen sie keinerlei Pflege zu erfahren. Wenn eine Spur zu weit ausgefahren ist, legt der nächste Fahrer kurzerhand daneben eine neue Spur an. Das Ergebnis sind bis zu 50 Meter breite Wegescharen, die in unregelmäßigen Abständen zusammentreffen und wieder auseinanderlaufen. Für die Fahrer ergebt sich dann alle 50 Meter ein neuer Entscheidungszwang, welcher der an der Gabelung weiterführende Weg die beste Qualität verspricht. Kurzum, es war schwer zu erkennen, welche Politik von der mongolischen Regierung bezüglich des Straßennetzes betrieben wird. Unserer lehrbuchhaft naiven Vorstellung einer Infrastruktur, die den zentralen Charakter der Hauptstadt aufhebt zugunsten eines wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung des gesamten Landes, kamen die angetroffenen Verhältnisse nicht entgegen.
Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass es außer den hier beschriebenen Straßen als Verkehrsweg nur noch die von Norden nach Süden verlaufende Eisenbahn (Transsib) gibt, und Wasserwege gänzlich unbekannt sind.
Auf der anderen Seite konnten wir nicht erleben, dass die Straßenverhältnisse unseren Fahrer außer Fassung bringen, so wie wir das bei uns erleben, wenn wir mal wieder irgendwo rund um Köln im Stau stehen. Auch hatten wir nicht den Eindruck, dass der ständige Entscheidungszwang bezüglich der Wegwahl unseren Fahrer in Stress versetzt, vielmehr scheint diese ständige Herausforderung seiner mongolischen Natur entgegenzukommen.

Also alles in Ordnung auf den Pisten in den Weiten der mongolischen Steppe?

In den vielen Stunden, die wir auf den Straßen und Wegen der Mongolei verbracht haben, musste ich mich öfters dabei ertappen, wie mein wohl geschlechtspezifisch bedingter Drang (so habe ich es mir erklären lassen) nach technischen Lösungen sucht, um den Mongolen durch ein besseres Straßennetz zu verbesserten Lebensbedingungen zu verhelfen.
Letztlich ließ ich es zu, in Gedanken ein Vehikel zu entwerfen, welches vorhandene Pisten der Kategorie "Schotterpiste" und "Freiland" regelmäßig in einen akzeptablen Zustand versetzt, also pflegt. Dabei unterstellte ich im ersten Ansatz, dass es auch langfristig billiger ist,  dass vorhandene Straßennetz zu pflegen als komplett neu aus (teuer importierten) Teer zu bauen.

Im Groben soll die Maschine eine Kombination aus Pisten-Bully und Gleisbaufahrzeug darstellen. Die Gesamtlänge kann bis zu 50 Metern betragen. Dabei müssen wichtige Funktionen, insbesondere die Antriebe, redundant ausgelegt werden. Ziel ist es, dass sich diese Straßenpflege-maschine (SPM) im 3-Schichten Betrieb rund um die Uhr im Einsatz befindet, also unterwegs ist, um dann spätestens nach einem Jahr das gesamte Hauptstraßennetz der Mongolei gepflegt zu haben. Um das zu gewährleisten, wird die SPM von einer Reihe von Begeleitfahrzeugen unterstützt. Da zählen fahrbare Schlafcontainer für die Mannschaft genauso dazu wie fahrbare Kantinen, Werkstätten und zahlreiche Fahrzeuge, die den Nachschub an Baumaterial, Treibstoff und Verpflegung aus naher und ferner Umgebung sichern. Alles mit einem Ziel: den Tross jahrein, jahraus über mongolische Pisten rollen zu lassen. Für die Organisation des Schichtbetriebs können auf Erfahrungen von Bohrinseln zurückgegriffen werden. Denkbar sind z.B. 3-Monatsschichten der bis 50 Personen umfassenden Mannschaft.
Bei geschätzten 2km/h kommt die SPM auf eine Tagesleistung von ca. 50 km. Im Jahr sind das immerhin 18.000 km. Ob der Betrieb der Maschine wegen der gefrorenen Böden im Winter überhaupt möglich ist, müsste noch ingenieurmäßig durchleuchtet werden.

Aber wie funktioniert die Maschine?
Wie ein Pisten-Bully, der geschundene oder neu verschneite Skipisten wieder in einen befahrbaren Zustand versetzt, soll der vorderste Teil der SPM die oberste Schicht der Schotter- oder Freilandpiste bis zu einem halben Meter tief aufkratzen. Schlaglöcher und Fahrrinnen sind bis zu dieser Tiefe sicher erfasst.
Der nächste Abschnitt der SPM durchmischt den aufgewühlten Bereich und vergleichmäßigt ihn grob über die gesamte Straßenbreite.
Dann findet eine Glättung in mehreren Stufen statt. Dabei wird aus einem höher liegenden Vorratsbehälter gegebenenfalls frisches Obermaterial automatisch zugegeben.
Der folgende Maschinenabschnitt gleicht einem Gleisbaufahrzeug, das den Schotter zwischen den Schwellen verdichtet. Mit auf Bändern angeordneten Vibratoren, die kontinuierlich in den geglätteten Straßenbelag stechen, wird dieser über die gesamte Tiefe verdichtet.
Über den so vorbereiteten Untergrund fahren im nächsten Abschnitt Walzen, oder/und Stampfer.
Das müsste für ein Jahr reichen.

Zugegeben, nicht jedes ingenieurtechnische Detail konnte hier beleuchtet werden, die Abwicklung des Projektes ist mir dafür umso klarer: 
So eine Maschine muss natürlich in Deutschland gebaut werden, möglichst von Leuten, die die Gegebenheiten im Einsatzgebiet gut kennen.
Für die Automatisierung der SPM kommt eigentlich nur die Fa. WIG in Leverkusen in Frage. Dort soll es nämlich jemanden geben, der nicht nur Erfahrung im Ausland hat, sondern auch mit den im Maschinenbau bewährten Steuerungen der Fa. Moeller. Wegen des Modellcharakters und der Exklusivität wird dieses Projekt bei Moeller von einem in diesem Bereich erfahrenen persönlichen Referenten betreut werden. Für die komplexe Abwicklung der Verschiffung der SPM nach Übersee wird ein Fachmann für den Zeitraum des Projektes von Bayer freigestellt. Letztlich wird es noch jemanden geben müssen, der seine schützende (und durch die Allianz rückversicherte) Hand über das ganze Projekt hält.
Doch ob uns das die Mongolen danken werden? Zum Beispiel die Kinder und alten Frauen, die derzeit am Straßenrand stehen und in Plastikflaschen vergorene Stutenmilch zum Kauf anbieten? Die werden sich ganz schon wundern, wenn die Touristenbusse und LKW´s demnächst statt mit 30 mit 80 Sachen vorbeidonnern und eine Staubwolke zurücklassen.
Wir werden sehen.


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