Mit Raketa oder Bus nach Khandyga?  |  Oder gibt es einen Flug?   |  4 Tickets für die Raketa!  |  Proviant bunkern

Montag, 14. Juli 2003

Die Nacht haben wir leicht schwitzend, jedoch ohne piesackende Mücken verbracht. Nach dem Stubendurchgang – das Etagenmädel lugt unter jede Bettdecke und schaut jeweils überrascht ob des unangetasteten Bettzeugs – machen wir uns wieder auf den Weg zum Flughafen.
Charly und Volker stehen auch sofort wieder am Sibirian Air-Schalter und jonglieren mit Flugoptionen – im Prinzip das gleiche Spiel wie am Vortag. Sozusagen als Zusatzaufgabe wollen sie heute der ganzen Sibirian-Mischpoke ein schlechtes Gewissen einreden. Sie sind schließlich schuld an unserer Lage und müßten sich doch jetzt geradezu zerreißen uns weiterzuhelfen – so denken wir. Tun sie aber nicht! Die nur als Option angefragten Buchungsvarianten werden auf der Gegenseite nicht wirklich verstanden. Ich glaube, auch wenn sie es rein sprachlich verstehen würden, begreifen ,was wir wollen, würden sie dann immer noch nicht. Zeitweise stehen sechs Leute um Charly und Volker herum. Letztendlich haben wir keinen zwingenden Grund, jetzt schon irgendwelche Umbuchungen oder Stornierungen zu tätigen. Nach Jakutsk kommen wir ja und dann werden wir weiter sehen. Trotzdem steht Charly immer noch in gebückter Haltung vor dem Schalter und ruft irgendetwas durch die Katzenklappe.
Jetzt wird es langsam Zeit für unseren Flug – er ist schon zweimal ausgerufen worden. Landung in Jakutsk um 15:00 Uhr Ortszeit. Etwa zwei Tage verspätet. Das Essen im Flieger, einer alten TU154, ist ausgezeichnet. Im ganzen Flughafen gibt es keine Wechselstube.

Mit dem Bus fahren wir in die Stadt. Es ist ca. 27 °C warm und sonnig – also wärmer als in Novosibirsk. Irgendwo im Zentrum steigen wir aus. Ziel ist der Busbahnhof. Wenn möglich, auf dem Weg dorthin Geld tauschen. Zwei Pluspunkte für Charly, denn er wollte in Novosibirsk tauschen. Hat sich aber nicht durchgesetzt – ein Pluspunkt wieder abgezogen. Auf dem Weg zum Busbahnhof finden wir dann doch noch eine offene Bank. Ich setze mich auf ein Mäuerchen und schreibe ein wenig. Die drei sind jetzt schon eine ganze Weile in der Bank. Als sie endlich rauskommen berichtet Charly kurz von den Vorkommnissen:

"Also das Geldgeschäft war schnell erledigt. Ein älterer Herr, der uns schon auf dem Weg zum Busbahnhof angesprochen hat, folgte uns in die Bank. Als wir diesen Herrn nach der Wechselprozedur dann auf uns zukommen sahen, und das Sicherheitspersonal als sehr freundlich einstuften, glaubten wir, von denen auch neue Informationen zu bekommen. Wir fragten auf englisch, deutsch und russisch nach einem Bus nach Magadan. Nachdem wir klargemacht hatten, dass wir kein ähnlich lautendes Nest hier in der Umgebung meinen, gaben sie uns zu verstehen, dass es besser und auch billiger sei, mit der Raketa (Schiff) erstmal bis Khandyga zu fahren."

Tja, wie das auf den meisten unserer Reisen so ist: Wenn man irgendwo ankommt, muß man als erstes sehen wie man wieder wegkommt! Da die direkte Busverbindung nach Magadan anscheinend wenig Erfolg verspricht, werden wir uns jetzt verstärkt um die Schiffsverbindung nach Khandyga mit der Raketa kümmern. Es ist jetzt 18:00 Uhr – um 5:00 Uhr soll eine Raketa abgehen. Da erübrigt sich die Suche nach einem festen Quartier – und zelten lohnt sich auch nicht. Also ab zum Hafen!

Jakutsk hat etwa 200.000 Einwohner. Alle größeren Betonbauten stehen wegen des Permafrostbodens auf Betonpfählen. Diese sind etwa 10 bis 12 Meter tief in der Erde verankert. Das Haus beginnt erst in gut 2 Metern Höhe. Zwischen Boden und Haus ist Platz für die Versorgungsleitungen, aber auch für allen erdenklichen Unrat! Der reicht von Autowracks über diverse Baumaterialien und Schrott bis hin zu Abfallbergen der verschiedensten Couleur- und Geruchsrichtungen. Halt der unaufgeräumte "Charme" einer russischen Stadt. Durch die Permafrostbauweise wird diese Unaufgeräumtheit nur noch verstärkt. Was nicht gebraucht wird, wandert einfach auf die Straße – und wenn es kein anderer brauchen kann, dann bleibt es halt dort liegen. Viele Häuser (vor allem die großen Plattenbauten) werden gerade gestrichen. Einige Giebelseiten, die fast ausnahmslos keine Fenster haben, sind mit schwarzen Isoliermatten verkleidet.
Am Hafen angekommen machen sich Volker und Charly sofort auf, um unsere kleine Flußfahrt klar zu machen. Jürgen und ich sitzen derweil in einem kleinen Park und passen auf das Gepäck auf. Zeit für ein kleines Zwischenfazit von Jürgen:

"Nach dem denkbar ungünstigen Start, der uns zwei volle Tage gekostet hat, scheint jetzt wieder alles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Unserer Stimmung tat das ganze Hickhack keinen Abbruch. Warum auch – wir haben keine Schuld und Probleme sind Aufgaben, die es zu lösen gilt. Sonst hätten wir ja gleich pauschal buchen können. Außerdem bescherte uns das Ganze zwei kostenlose Übernachtungen. Auf den Flügen nach Novosibirsk und Jakutsk gab es keine Besonderheiten. Die Zeitverschiebungen sorgen dafür, dass wir uns unseren Schlaf nehmen, wenn wir ihn brauchen. Die Nacht in Novosibirsk war nicht so heimelig: Bullenhitze und die Ausdünstungen von vier Männerkörpern, von denen drei ihre Überdosis Vitamin B1 freisetzten und der vierte beim Stinken nicht fehlen wollte, taten ihr übriges. Wir haben es überlebt. Obwohl ein beliebter Kommentar zu unseren Reisen ist: " Diesen Streß würde ich mir nicht antun", entdecken auch wir hier die Vorteile der Einsicht zur Langsamkeit. Pole, Pole überall – Entscheidungen müssen gut überlegt sein."

Tja Jürgen, wie du sagst, es scheint seinen gewohnten Gang zu gehen. Der Schein kann jedoch auch trügen. Und dass dem so ist, müssen wir schmerzlich erkennen, als Charly und Volker mit gesenktem Kopf und nach unten gerichtetem Daumen auf uns zu kommen.

Morgen geht keine Raketa – erst übermorgen fährt ein Kahn in unsere Richtung! Nach eingehender Erörterung unserer jetzigen Situation kommen wir zu dem Schluß, dass wir jetzt schleunigst zum Flughafen müssen. Zuvor rufen wir über Jürgens Handy noch einen Vertreter von Jakutientravel an. Genaues kann der uns jedoch auch nicht erzählen. Außer, dass es wohl nicht möglich ist, morgen nach Ust-Nera zu fliegen. Weiterhin faselt er etwas von Hochsaison. Im übrigen verweist er uns an die örtlichen Travel-Agencies, die ab 9:00 Uhr morgen geöffnet haben. "Da sind alle Flieger doch schon weg," konstatiert Charly und unterstreicht damit seine Aufforderung, sich doch jetzt endlich in Richtung Flughafen zu bewegen!

Es ist wie bei einem Boxkampf auf dieser Tour: Nach einem Leberhaken – Raketa geht erst übermorgen – folgt kurz darauf eine rechte Gerade – der Flughafen hat bereits zu. Die Kämpfer sind angeschlagen, das ist nicht zu leugnen! Aber solange noch eine Schaschlikbude offen hat – und es hat eine offen – und der Flughafen wegen Waldbrand nicht komplett geschlossen ist – und es gibt derzeit keinen Waldbrand – besteht Hoffnung.

Wir beschließen hier auszuharren, bis der Flughafen morgen früh wieder öffnet. Mit dem Ausharren beginnen wir in einer nahen Schaschlikbude. Bei Schaschlik, Brot und einigen Flaschen Bier schaffen wir es spielend bis halb zwei. Die Sonne ist zwar untergegangen, doch so richtig dunkel wird es hier nicht. 24 hours visible light – so steht es im Reiseführer.

Um halb zwei rödeln wir auf und postieren uns auf der Brüstung eines nahegelegenen Umspannhäuschens mit Blick auf das Rollfeld. Wir machen um 1:45 Uhr Fotos vom nächtlichen Himmel. Wir rätseln, wann auf dieser geographischen Länge – 130° ö.L. – wohl exakt Mitternacht ist und an welcher Stelle die Sonne wieder zum Vorschein kommt, bzw. wo Norden ist. Hier die Lösung von Charly:

(Delta zu Greenwich + SZ) – 130°/360° x 24h
= (9h + 1h) – 130°/360° x 24h
= 1,334h das bedeutet: Mitternacht ist um 1:20 am

IMGP1397p.JPG (11280 Byte) Das Rollfeld des Jakutsker Flughafens im Licht einer "Weißen Nacht"

Unser Blick gilt aber nicht nur dem Rollfeld, sondern auch einer Versorgungsleitung (wahrscheinlich Fernwärme) für den Flughafen. Die isolierten Leitungen sind dermaßen verrottet, dass sich nur ahnen läßt, wie groß die Energieverluste bei minus 50 °C sein müssen. Zudem ist die einst angebrachte Verkleidung dieser Rohrbrücke (Preßspanplatte) in großen Teilen abgefallen. Regen und Schnee dringen unweigerlich in die Isolierwolle.

Die blaue Wodkaflasche wird spürbar leichter. Und so gegen vier schließt der eine oder andere, angelehnt an seinen Rucksack, die Augen. Ja, eine nicht unbedingt geplante Nacht am Jakutsker Flughafen – und wieder ohne Zelt! Ab fünf schauen wir um die Ecke, um zu sehen, ob sich nicht schon was tut. Aber erst kurz nach sechs stehen die ersten Reisenden mit Gepäck vor den immer noch verschlossenen Türen.

Dienstag, 15. Juli 2003

Kurz nach sieben ist dann endlich Einlaß. Wir gehen schnurstracks zum Ticketschalter. Und wirklich, auf der Anzeigetafel ist für 9:30 Uhr ein Flug nach Ust-Nera angeschlagen. Vor dem Schalter spricht uns ein gut deutsch sprechender Russe an und bietet uns seine Hilfe an.
Für den Flug nach Ust-Nera ist nur noch ein Platz frei, wie sich in kurzem Gespräch mit Hilfe unseres Freundes herausstellte. Wir sollen warten, bis der Check-in vorbei ist und sehen was sich dann eventuell für uns ergibt. Der Check-in Administorin machen wir deutlich, dass wir dringend nach Ust-Nera müssen. Mehr können wir im Augenblick nicht machen.
Darüber kommen wir natürlich mit unserem hilfsbereiten Russen ins Gespräch. Rafael ist Russlanddeutscher, Rentner und lebt derzeit in Khandyga. Jetzt ist er auf dem Weg nach Khabarowsk.
Khandyga läßt uns natürlich aufhorchen – da wollen wir ja mit der Raketa hin.
Im weiteren Gespräch stellt er uns in Aussicht, eine Autofahrt von Khandyga nach Magadan vermitteln zu können. Ein Freund in Khandyga könne da sicher etwas organisieren; außerdem könne er ihn ja gleich mal anrufen.
IMGP1400k.JPG (7922 Byte) Spannende Minuten im Flughafen: Werden wir noch Plätze im Flieger nach Ust-Nera bekommen oder kann uns Rafael eine Fahrmöglichkeit von Kandyga nach Magadan organisieren?

Das ist natürlich Musik in unseren Ohren – der Boxer ist noch nicht ausgezählt – ein wenig Luft zufächeln und er ist bereit für die nächste Runde. Die nächste Runde beginnt mit einem Telefongespräch nach Khandyga. Charly und ich stehen neben dem Apparat und versuchen aus dem ein oder anderen Wort und der Mimik Rafaels dem Gesprächsverlauf zu folgen. Das Ergebnis: Bis Ust-Nera ist es wohl kein Problem – 12.000 Rubel soll es bis dorthin kosten.

Bis Magadan zu fahren ist prinzipiell wohl auch möglich; es kommt auf des Wetter an. Sobald wir morgen mit der Raketa eintreffen, könnten wir losfahren. Klingt fast zu schön um wahr zu sein, so unsere einhellige Meinung.
Charly ist zwischendurch mehrere Male am Check-In-Schalter gewesen, um die Flugoption Ust-Nera nicht aus den Augen zu verlieren. Außerdem drängen wir Rafael den Preis bis Magadan nochmals telefonisch zu erfragen. Aber auch der zweite Anruf bringt diesbezüglich keine verbindliche Information. Besonders Charly ist anzumerken, dass ihm dies nicht so recht paßt. Wir sehen das prinzipiell genauso, doch die Aussicht, per Auto doch noch unsere Straße zu bewältigen, ist zu verlockend. Wir lassen daher Rafael alle bisherigen Informationen und Vereinbarungen schriftlich festhalten. Er trägt alles in russisch in unser Büchlein ein – 12.000 Rubel bis Ust-Nera, wobei 50% vor und 50% nachher bezahlt werden sollen – auch der beabsichtigte Reiseverlauf wird notiert.
Rafael schwärmt in den höchsten Tönen von einer Fahrt auf dem Kolyma Highway: "Was wollt ihr fliegen – seht doch nix – Straße ist besser viel schöne Landschaft – wann ihr jemals wieder hier!"
Er spricht uns natürlich aus der Seele. Aber unser knapper Zeithorizont und die immer noch vorhandenen Unwägbarkeiten der Strecke lassen sich nicht wegdiskutieren. Charly schaut, nicht zuletzt auch deshalb, nochmals am Ust-Nera-Schalter vorbei. Und dass das nicht ganz so hoffnungslos ist, wie es zuerst den Anschein hat, schildert er am besten selbst:

Irgendwann höre ich wieder eine Lautsprecherdurchsage. Rafael blickt kurz auf und als ich ihn frage was gesagt wurde sagt er: "Das ist für euch." Ich eile sofort zu der Schlange, wo die Passagiere für Ust-Nera schon einchecken. Alle schauen mich an. Ich frage in die Runde, was denn los sei. Ein junger Jakute deutet mir, dass ich hinter den Schalter gehen soll. Ich bitte ihn mitzukommen, da er etwas Englisch spricht. In dem Raum hinter dem Schalter ist die Stimmung etwas gedrückt und eine der Frauen harscht mich fast an. Ich drehe mich zu dem Jakuten – aber der geht gerade wieder raus. Ich frage ihn noch was los sei. Er sagt nur "to late!" Mir ist sofort klar, dass wir jetzt nur noch die Bootsvariante haben. Aber es ist auch klar, dass wir wohl doch noch vier Plätze hätten haben können, wenn wir uns an der richtigen Stelle, eben vor dem Check-In-Schalter, aufgehalten hätten. Trotz der Absage und der Ungewißheit der noch offenen Variante, gibt mir die ganze Geschichte auch etwas Zufriedenheit. Bewahrheitet es sich doch wieder, dass unwahrscheinliche Ereignisse doch eintreten können. Man muss natürlich etwas dafür tun. Will sagen: "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!" Das harsche Auftreten der Dame hinter dem Schalter nahm ich nicht persönlich. Ohne, dass ich auch nur ein Wort verstanden habe, hat sie vielleicht gesagt: "Was kommt ihr auch so spät, wie lange sollen wir die Plätze denn noch freihalten, wir haben euch sogar ausrufen lassen – jetzt mußte ich die Plätze anderweitig vergeben – seid selbst dran Schuld, dass es nicht geklappt hat – was sollen wir für euch Ausländer denn noch alles tun – usw. usw. !"
Mit diesen Gedanken gehe ich zurück in die Cafeteria. Ich weiß, dass wir durch die zeitgleichen Gespräche mit Rafael auch keine Chance hatten; sollten wir die so vielversprechenden Aussichten auf ein Auto sausen lassen? Wer die Wahl hat, hat die Qual!"

Da es sich mit dem Flug jetzt endgültig erledigt hat und auch in den nächsten Tagen keiner mehr geht, setzen wir voll auf die morgige Raketa.
In Khandyga werden wir erwartet – alles weitere wird und mu
ss sich finden. Wenn dieser Scherafisov – so heißt der Vermittler in Khandyga – ein Halsabschneider ist, fahren wir mit der nächsten Raketa halt wieder zurück nach Jakutsk – da steht nämlich noch das Permafrostmuseum aus! Aber ich denke, selbst Charly würde auf diesen Museumsbesuch zugunsten des Kolyma Highways liebend gerne verzichten.

Wir trinken mit Rafael noch einen Kaffee und verabschieden uns.

IMGP1402k.JPG (11357 Byte)

Typisches Haus im Zentrum von Jakutsk. Die Stadt steht auf Permafrostboden. Damit die Wärme der Häuser den darunter liegenden Boden nicht auftaut und die Häuser einsinken ließe, sind die Häuser auf "Stelzen" gebaut.

Wir fahren zunächst ins Zentrum um wenigstens für heute eine Unterkunft zu suchen. Im Hotel Rossia wollen sie unser Permit für die Republik Sakha, wie Jakutien offiziell heißt, sehen. Selbst Charlys Papier, welches ihn als eine Art Reiseleiter ausweist, hilft uns nicht weiter. Immerhin nennen sie uns eine Stelle, wo wir ein solches Permit bekommen können. "Das kostet bestimmt Geld, laßt es uns im Hotel Lena versuchen," wirft Jürgen ein. Dort hatten wir schon den Preis erfragt und es ist nur unwesentlich teurer als hier. Jürgen und ich laufen dorthin und checken auch ohne besagtes Sakha-Permit ein. 1.600 Rubel inklusive Frühstück. Wobei das Frühstück auch in Form von Bier und Cola am Abend zuvor eingenommen werden kann. Eine Regelung, die uns sehr entgegen kommt. Jetzt wird es aber langsam Zeit, zum Hafen zu fahren. Es ist kurz nach 14:00 Uhr, als wir mit dem Bus am Hafen eintreffen. Schnurstracks marschieren wir zum Ticket-Office:

"Tschitire bileta Khandyga saftra – tschitire person paschalusta – four Tickets to Khandyga tomorrow – eh, gute Frau, wir brauchen 4 Tickets für die Raketa nach Khandyga!"

Wir können es noch so oft in allen möglichen Varianten wiederholen, die Reaktion der Ticketverkäuferin bleibt immer die gleiche: Sie schüttelt mit dem Kopf! Und da wir nicht in China sind, bedeutet das: Der Kahn ist voll – keine Tickets mehr verfügbar! Je länger der Kampf dauert, desto schwerer erholt man sich von einem Niederschlag. Und das dies hier einer war, kann ja wohl keiner bestreiten. Im übertragenen Sinn befinden wir uns in der zehnten von zwölf Runden!
In drei Tagen geht die nächste Raketa nach Khandyga. Na schön, aber nicht mit uns – entweder die morgen um fünf oder keine. Gestrandet in Jakutsk, der Permafroststadt ohne Schaufenster!
Wie begossene Pudel schleichen wir vom Fähranleger in Richtung Bushaltestelle.

Wir waren am Flughafen, sind jetzt am Hafen und würden auch am Bahnhof alle Hebel in Bewegung setzen, wenn – ja wenn es denn in Jakutsk einen Bahnhof gäbe! Schweigsam teilen wir uns eine lauwarme 2 Liter-Flasche Cola in einer der zahlreichen Schaschlikbuden am Hafen.
Volker findet als erster wieder von der apathischen Ebene zurück auf die rationale. " Wollen wir uns so ohne weiteres damit abfinden," fragt er in die Runde. "Wir können der Dame doch eine Flasche Whisky hinstellen und ihr einen vorjammern
", setzt er nach. "Und wenn sie nur Wodka trinkt", wendet Jürgen ein. Ja, dann hätten wir wohl Pech gehabt!
Die Dame ist so um die Fünfzig – und da fällt die Wahl automatisch auf Charly.

Vor dem Tickethäuschen spielt Charly dann gestenreich den Verzweifelten. Unter anderem setzt er sich andeutungsweise mehrmals auf die Erde um klar zu machen, dass wir nicht unbedingt einen Sitzplatz benötigen. Tja, Charly hat solche Verhandlungen einfach drauf – das hat er schon mehrfach bewiesen. Das Resultat ist jedenfalls, dass es doch noch 4 Plätze für uns auf dem Dampfer gibt. Die gute Dame hat sie beim erstenmal sicherlich nur übersehen! Unsere Stimmung steigt merklich (der Boxer rettet sich durch den Gong in die 11. Runde und bekommt dann die "zweite Luft").
Freundliches, aber bestimmtes Nachfragen zahlt sich meistens aus. Um 5:00 Uhr morgen früh soll es losgehen und um 4:00 Uhr sollen wir schon am Anleger sein. "Wir müssen noch einkaufen – und Gas haben wir ja auch noch keins", drängt Jürgen! Er ist wieder voll bei der Sache. Das Spiel dauert 90 Minuten, um zur Abwechslung mal eine Binsenweisheit aus einer anderen Sportart zu zitieren.

IMGP1409k.JPG (6094 Byte)

Im Hotelzimmer erfogt der Check der Grundausrüstung für die nächsten Tage auf dem Kolyma-Highway: Brot, Landkarte, Wasser, Wodka, Dollars und Gasbrenner.

Wir fahren zum Chinesenmarkt. Direkt am ersten Stand finden wir die uns schon bekannten chinesischen Gasflaschen. Es gibt sogar eine Art Standbrenner dazu. Uns reicht jedoch unsere "Lötlampe", die wir im letzten Jahr in Irkutsk erstanden haben. Desweiteren decken wir uns mit Nudeln, Tomatenmark, Zwiebeln, Knoblauch, Wurst, Brot und Wodka ein. Von einer freundlichen Usbekin bekomme ich die Knoblauchzwiebeln gratis dazu. Vielleicht deshalb, weil ich – den Daumen nach oben haltend – einige usbekische Städte aufzähle.


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